Syllogistik des Aristoteles

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann


Wer sich Denkgesetzen zuwendet und dort mit logischen Schlussfolgerungen beschäftigt, stößt recht bald auf die Syllogistik des Aristoteles. Einer der von ihm untersuchten Syllogismen gilt geradezu als Paradebeispiel für einen logischen Schluss.

Beispiel
Obersatz Alle Menschen sind sterblich.
Untersatz Alle Griechen sind Menschen.
Schlusssatz Alle Griechen sind sterblich.

Das Beispiel zeigt den modus barbara. Ein modus ist ein gültiger Schluss. Wenn es einen modus babara gibt, so darf man vermuten, dass neben ihm noch weitere modi existieren. Die Syllogistik des Aristoteles ist der erste uns bekannte Versuch, die logisch gültigen Schlussformen zu bestimmen und zu systematisieren.

Logisch gültige Schlussformen

Was zeichnet eine logisch gültige Schlussform aus? Ihr zwingender Charakter! Und der zeigt sich in zwei Aspekten: dem Wahrheitstransport von den Prämissen auf den gefolgerten Schlusssatz und den Falschheitstransport vom Schlusssatz auf mindestens eine der Prämissen. Führen wir uns das an den folgenden Fragen vor Augen.

Halten Sie es für möglich:

  1. aus einer wahren und einer falschen Prämisse in logisch zwingender Weise einen wahren Schlusssatz abzuleiten?
  2. aus zwei falschen Prämissen in logisch zwingender Weise einen wahren Schlusssatz abzuleiten?
  3. aus zwei falschen Prämissen in logisch zwingender Weise einen falschen Schlusssatz abzuleiten?
  4. aus zwei wahren Prämissen in logisch zwingender Weise einen falschen Schlusssatz abzuleiten?

Die Regeln der Logik schließen nur den vierten Fall aus. Wenn die Prämissen wahr sind, muss der logisch zwingende Schlusssatz wahr sein. Ist der aus den Prämissen logisch zwingend gefolgerte Schlusssatz falsch (Wir finden einen unsterblichen Griechen!), dann muss eine der Prämissen falsch sein: Entweder sind nicht alle Griechen Menschen, oder es sind nicht alle Menschen sterblich!

Testfälle aus Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, 1982 (Aufgabe 1)

FallObersatzw/fUntersatzw/fSchlusssatzw/fzwingend?
1 Alle Rabattkartelle sind unwirksam. f Alle Konditionenkartelle sind Rabattkartelle. f Alle Konditionenkartelle sind unwirksam. f ja
2 Alle Verpflichtungsgeschäfte sind Verfügungsgeschäfte. f Alle dinglichen Einigungen sind Verpflichtungsgeschäfte. f Alle dinglichen Einigungen sind Verfügungsgeschäfte. w ja
3 Alle Rechtsgeschäfte sind Verträge. f Keine Auslobung ist ein Vertrag. w Keine Auslobung ist ein Rechtsgeschäft. f ja
4 Kein Diebstahl ist eine Straftat. f Alle Urkundenfälschungen sind Straftaten. w Keine Urkundenfälschung ist ein Diebstahl. w ja
5 Keine OHG ist eine Körperschaft. w Alle GmbH's sind OHG's. f Keine GmbH ist eine Körperschaft. f ja
6 Alle Gesetze sind Rechtsnormen. w Keine Verordnung ist eine Rechtsnorm. f Keine Verordnung ist ein Gesetz. w ja
7 Kein Vertrag ist ein Testament. w Kein Testament ist ein Erbvertrag. w Kein Vertrag ist ein Erbvertrag. f nein
8 Alle Verträge sind Rechtsgeschäfte. w Alle Schuldverträge sind Verträge. w Alle Schuldverträge sind Rechtsgeschäfte. w ja
9 Keine AG ist eine Personalgesellschaft. w Keine Personalgesellschaft ist eine GmbH. w Keine AG ist eine GmbH. w nein

Zur Beurteilung der Wahrheit oder Falschheit der in den Beispielen verwendeten Sätze braucht man Rechtskenntnisse (und keine Logikkenntnisse). Zur Beurteilung des zwingenden Charakters eines Schlusses dagegen benötigt man keine Rechtskenntnisse, sondern Logikkenntnisse. Wüssten Sie bei jedem der Beispiele wirklich zu sagen, ob die Antwort zum zwingenden oder nicht zwingenden Charakter der Schlussfolgerung in der letzten Spalte zutrifft? Nach dem Durcharbeiten dieser Lektion sollten Sie es wissen! Wir müssen uns ein wenig näher mit der Syllogistik beschäftigen. Denn alle Beispiele haben die Struktur von Syllogismen.

Syllogismus und kategorische Urteile

Ein Syllogismus besteht aus drei kategorischen Urteilen (Obersatz, Untersatz, Schlusssatz) mit insgesamt drei Begriffen (Ausdrücken), dem Mittelbegriff M, der im Obersatz und im Untersatz nicht aber im Schlusssatz vorkommt, und den Begriffen S und P, die beide im Schlusssatz und verteilt je einzeln im Obersatz (P) und im Untersatz (S) vorkommen.

Die kategorischen Urteile sind in vier Arten eingeteilt, die eine Kombination aus allgemeinen und partikulären sowie bejahenden und verneinenden Urteilen (Sätzen) bilden:

UrteileQualifikationSymboldarstellung
Alle S sind P. allgemein bejahend SaP
Kein S ist P. allgemein verneinend SeP
Einige S sind P. partikulär bejahend SiP
Einige S sind nicht P. partikulär verneinend SoP

Die die Urteile in der Symboldarstellung qualifizierenden Kleinbuchstaben (aeio) sind den Vokalen der lateinischen Ausdrücke "affirmo" und "nego" entlehnt. Da weiß man gleich, dass a für allgemein bejahend (erster Vokal in affirmo) und o für partikulär verneinend (zweiter Vokal in nego) steht (oder?).

Wenn ein Syllogismus aus drei kategorischen Urteilen gebildet ist und es vier Arten der kategorischen Urteile gibt, sind 43 = 64 Kombinationen von Syllogismen aus kategorischen Urteilen möglich: von aaa bis ooo.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Obersatz a a a a a a a a a a a a a a a a i i i i i i i i i i i i i i i i e e e e e e e e e e e e e e e e o o o o o o o o o o o o o o o o
Untersatz a a a a i i i i e e e e o o o o a a a a i i i i e e e e o o o o a a a a i i i i e e e e o o o o a a a a i i i i e e e e o o o o
Schlusssatz
a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o a i e o

Es kommt hinzu, dass man nach der Stellung des Mittelbegriffs M im Syllogismus vier syllogistische Figuren unterscheiden kann.

Figur 1Figur 2Figur 3Figur 4
Obersatz MP PM MP PM
Untersatz SM SM MS MS
Schlusssatz SP SP SP SP

Die Zahl der möglichen Syllogismen wächst damit auf 256.

Die logisch gültigen Syllogismen

Eine Aufgabe unserer logischen Vorväter bestand nun darin, aus den möglichen 256 Syllogismen die logisch gültigen herauszufinden. Auskunft über das Ergebnis ihrer Bemühungen gibt ein mittelalterlicher Merkspruch in der Form eines Hexameters:

Barbara Celarent Darii Ferioque prioris
Cesare Camestres Festino Baroco secundae
Tertia Darapti Disamis Datisi Felapton
Bocardo Ferison habet; quarta insuper addit
Bamalip Calemes Dimatis Fesapo Fresison.

Die lateinischen Namen bezeichnen die gültigen modi in der ersten bis vierten Figur; die Vokale in diesen Namen charakterisieren das kategorische Urteil.

In Elmar Bund, Juristische Logik und Argumentation, 1982, finden wir die folgenden Regeln mit demselben Ziel, die logisch gültigen Syllogismen auszuzeichnen.

  1. Im Syllogismus dürfen nur drei Begriffe vorkommen.
  2. In der Konklusion dürfen die Begriffe keinen größeren Umfang haben als in der Prämisse.
  3. Der Mittelbegriff darf in der Konklusion nicht vorkommen.
  4. Der Mittelbegriff muss mindestens einmal seinem vollen Umfang nach verwendet werden.
  5. Sind die Prämissen affirmativ, darf die Konklusion nicht negativ sein.
  6. Mindestens eine der Prämissen muss affirmativ sein.
  7. Quantität und Qualität der Konklusion richten sich nach der schwächeren Prämisse.
  8. Mindestens eine Prämisse muss universell sein.

Und Wesley C. Salmon, Logik, 1983, S. 110 schwört auf dieses Regelwerk:

  1. M muss genau einmal distribuiert sein.
  2. S und P müssen entweder beide distribuiert oder beide nicht distribuiert sein.
  3. Die Anzahl der negativen Prämissen muss gleich der Anzahl negativer Konklusionen sein.

Es ist wesentlich kürzer. Aber seine Anwendung setzt voraus, dass man weiß, wann ein Begriff distribuiert ist.

Die Distribution hängt mit den Arten der kategorischen Urteile zusammen. Ein Begriff ist in einem kategorischen Urteil distribuiert, wenn dieses Urteil etwas über jedes einzelne Element der Menge aussagt, für die der Begriff steht. Im allgemein bejahenden Urteil ist der erste Begriff distribuiert, im allgemein vereinenden sind es beide Begriffe; im partikulär bejahenden ist es keiner und im partikulär verneinenden ist es der letzte. Es ist tatsächlich nicht nötig, den Begriff der Distribution zu verstehen, um Syllogismen auf ihre Gültigkeit hin zu untersuchen. Man muss sich im Ernstfall nur daran erinnern, welche Begriffe distribuiert sind und welche nicht. Salmon bietet die Regel an: Der Subjektausdruck einer allgemeinen Aussage ist distribuiert, und der Prädikatausdruck einer negativen Aussage ist distribuiert.

Die Regeln führen leider nicht in allen Fällen zu übereinstimmenden Ergebnissen. Dann können sie jedenfalls nicht alle richtig (wohl aber alle falsch) sein. Vielleicht gibt es ein Mittel, das uns mechanisch (ohne Nachdenken) die Entscheidung abnimmt. Doch zunächst zu einem Fall, in dem die Regeln zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Es handelt sich um den folgenden Syllogismus aus der dritten Figur:

Figur 3Beispiel
Obersatz MaP Alle Menschen sind sterblich.
Untersatz MaS Alle Menschen sind Rechtsträger.
Schlusssatz SiP Einige Rechtsträger sind sterblich.

Der lateinische Merkspruch weist ihn als gültig aus (darapti).

Die Bund'schen Regeln sind alle erfüllt. Damit zeichnen auch sie den Schluss als gültig aus.

Unser Gefühl tendiert beim Beispiel wohl auch zu einem gültigen Schluss.

Salmon's Regeln aber sind nicht erfüllt. Regel 1 ist verletzt. M ist zweimal (und damit nicht genau einmal) distribuiert.

Was aber ist richtig? Es steht drei zu eins gegen Salmon. Reicht das zur Entscheidung aus? Immerhin wäre die Mehrheitsregel eine Regel, die uns das weitere Nachdenken ersparte. Ich habe aber ein anderes Verfahren im Auge, das zwar auch mechanisch funktioniert, das aber nicht die Schwächen der Mehrheitsregel aufweist. Es geht um die grafische Repräsentation der Syllogismen in Venn-Diagrammen.

Syllogismen in Venn-Diagrammen

In Venn-Diagrammen werden die kategorischen Urteile in sich überschneidenden Kreisen repräsentiert. Die durch ein kategorisches Urteil der allgemeinen Art ausgeschlossenen Bereiche werden farblich ausgefüllt (hier rot). Die durch ein partikuläres Urteil besetzten Bereiche werden mit dem + Zeichen versehen. Daraus ergeben sich die folgenden Bilder:

SAP.giffür das SaP-Urteil: Alle S sind P.

SEP.giffür das SeP-Urteil. Kein S ist P.

SIP.giffür das SiP-Urteil. Einige S sind P.

SOP.giffür das SoP-Urteil. Einige S sind nicht P.

Mit diesen Darstellungsregeln geht man an das Drei-Begriffe-Modell des Syllogismus heran.

DREI.gif

Ein Syllogismus ist gültig, wenn nach der grafischen Darstellung der in den Prämissen aufgestellten Urteile entsprechend den gerade erläuterten Regeln das Urteil des Schlusssatzes mit repräsentiert ist.

Im Bild des modus barbara

BARBARA.gif

ist die Schlussfolgerung "Alle S sind P", enthalten, denn das Bild weist keinen S-Bereich außerhalb von P aus.

Im Bild des modus darapti

DARAPTI.gif

ist die Schlussfolgerung "Einige S sind P", nicht enthalten, denn wir finden kein + im Bereich von S und P.

Nach diesem Verfahren liegt die Wahrheit bei Salmon. Es steht nur noch drei zu zwei gegen Salmon. Des Rätsels endgültige Lösung erklärt ihn zum Sieger. Wir verfügen heute über ein präziseres Verständnis der allgemeinen und der partikulären Urteile. Während unsere Vorväter sich sowohl bei den allgemeinen wie bei den partikulären Urteilen unausgesprochen mitdachten, dass es die Dinge auch gäbe, über die man ein Urteil bildete, ist diese Existenzbehauptung nach den Regeln der modernen Prädikaten- oder Quantorenlogik nur in dem partikulären Urteil enthalten. "Alle S sind P" versteht die moderne Logik so, dass, wenn es Dinge der Art S geben sollte, sie auch das Merkmal P haben. Ob es aber Dinge der Art S gibt, wird mit einem Allsatz nicht behauptet. Andererseits versteht man den Satz: "Einige S sind P" so, dass es mindestens ein Ding auf dieser Welt gibt, dem sowohl die Eigenschaft S wie die Eigenschaft P eignet. Das bringt in den Venn-Diagrammen das + Zeichen zum Ausdruck.

Nach den Regeln der Quantorenlogik, die den Prüfverfahren von Salmon und Venn zugrunde liegen, erweisen sich 15 der 256 möglichen Syllogismen als gültige Schlussverfahren.

In der ersten Figur:
BarbaraCelarentDariiFerio
Obersatz MaP MeP MaP MeP
Untersatz SaM SaM SiM SiM
Schlußsatz SaP SeP SiP SoP
In der zweiten Figur:
CesareCamestresFestinoBaroco
Obersatz PeM PaM PeM PaM
Untersatz SaM SeM SiM SoM
Schlußsatz SeP SeP SoP SoP
In der dritten Figur:
DisamisDatisiBocardoFerison
Obersatz MiP MaP MoP MeP
Untersatz MaS MiS MaP MiS
Schlußsatz SiP SiP SoP SoP
In der vierten Figur:
CalemesDimatisFresison
Obersatz PaM PiM PeM
Untersatz MeS MaS MiS
Schlusssatz SeP SiP SoP

Die distribuierten Begriffe sind fett rot gekennzeichnet. Diese 15 Syllogismen erfüllen das Regelwerk Salmons.

Die moderne Logik ist nicht auf Syllogismen beschränkt und erweitert den Bereich der gültigen Schlussregeln immens.

Zuletzt geändert: Montag, 2. September 2019, 13:06