Unter dem Namen des Hippokrates (ca. 460 – 370 v. Chr.) sind rund 60 Schriften (das sog. Corpus Hippocraticum) überliefert, von denen sich allerdings keine mit Sicherheit dem Begründer der wissenschaftlichen Medizin zuweisen lässt.

 Die Schrift περὶ ἀέρων, ὑδάτων, τόπων gehört zu den ältesten der Sammlung und entstand wohl um 430–420 v. Chr. Sie gilt als Grundbuch der ,meteorologischen Medizin‘: Der Mensch wird nicht isoliert betrachtet; besondere Aufmerksamkeit wird vielmehr den Einwirkungen seiner Umwelt geschenkt– ein recht modern anmutender Ansatz.

 Als für den Arzt relevant erachtet und ausführlich behandelt werden im ersten Teil der Schrift (Kap. 1–11): Lage der Stadt, wie sie zu den Winden und den Sonnenaufgängen liegt; Gewässer / Trinkwasser; Wechsel der Jahreszeiten.

 In einem zweiten, ethnographischen Teil (Kap. 12–24) werden verschiedene Völker Asiens und Europas beschrieben (besonders ausführlich die Skythen) und die unterschiedlichen körperlichen sowie auch geistigen Konstitutionen der dort lebenden Menschen auf die Einwirkung der im ersten Teil erörterten Umwelteinflüsse zurückgeführt.

 Die Schrift besticht nicht zuletzt durch den frischen, zupackenden Geist, mit dem Fragen – einige davon zum ersten Mal in der griechischen Literatur oder gar überhaupt – aufgeworfen werden: Der Verfasser stellt Experimente an, teilweise mit Messungen; die Schilderung eines Brauchs der Makrokephalen gibt ihm Gelegenheit, die Vererbung von erworbenen Eigenschaften zu erörtern, während die Anschaulichkeit seiner Beschreibung der am Phasis in Pfahlbauten lebenden Menschen diesem Abschnitt einen Platz in jeder Anthologie der frühgriechischen Prosa sichert.

 Das Werk richtet sich primär, wie das Prooimion zeigt, an Wanderärzte; noch über 2 000 Jahre später sollte ein prominenter Reisender, wenn auch kein Arzt, unsere Schrift zu Rate ziehen: Als er im Winter 1795 für ein großangelegtes kulturhistorisches Werk über Italien, das letztlich nicht zustande kam, Materialien zum Stichwort „Ungesunde Lage von Rom und der Gegend“ sammelte, las Goethe unsere Schrift, und zwar trotz nur dürftiger Griechischkenntnisse im Original (s. Vorbereitung zur zweiten Reise nach Italien, WA I 34.2, S. 230).

 Die Schrift ist, wie alle Werke der frühgriechischen Wissenschaft, im ionischen Dialekt verfasst: Wer mit Herodot zurechtkommt, wird auch mit Hippokrates zurechtkommen. 

 Der Lektüre zugrunde gelegt wird die zweisprachige Ausgabe von Hans Diller (Berlin 1970).