Wir gehen wie selbstverständlich davon aus, daß wir mittels Wahrnehmung einen epistemischen Zugang zu Gegenständen der uns umgebenden Welt haben und beschreiben unsere Wahrnehmungserfahrungen in Begriffen von Gegenständen oder Ereignissen, die von uns unabhängig existieren: Wir hören den Wind pfeifen, fühlen die warme Tasse in der Hand oder sehen, daß es anfängt, zu regnen.
Es erscheint naheliegend, anzunehmen, daß Gegenstände der „Außenwelt” unsere Wahrnehmungserfahrung (teilweise) bestimmen. Die Phänomene der Halluzination und optischen Täuschung stellen uns jedoch vor die Herausforderung, philosophisch zu begründen, wie Wahrnehmung trotz dieser „Fehler” als das angesehen werden kann, als was wir sie intuitiv verstehen, nämlich als Offenheit für bzw. Bewußtsein von der Welt.
Sowohl philosophische Theorien der Wahrnehmung als auch Theorien der epistemischen Rechtfertigung von Wahrnehmungsmeinungen müssen sich mit diesem „Problem der Wahrnehmung” auseinandersetzen, dessen skeptisches Potential, das bereits Descartes prominent ausgebeutet hat, ungebrochen ist. Sie trachten danach, der common-sense-Auffassung, daß wir mittels Wahrnehmung Wissen über Gegenstände oder Ereignisse in der Welt erlangen, theoretisch gerecht zu werden – eine Aufgabe die sich bei näherer Betrachtung als erstaunlich komplex erweist.
Sie involviert u.a. die Beschäftigung mit den folgenden eng relationierten Fragenkomplexen:
(1) Welche Struktur muß Wahrnehmung haben bzw. wie muß der Gehalt von Wahrnehmungen beschaffen sein, um zu erklären, daß Wahrnehmung uns einen epistemischen Zugang zu Gegenständen liefert?
Nehmen wir Gegenstände direkt oder (in einer näher zu erläuternden Weise) indirekt wahr? Ist Wahrnehmungsgehalt begrifflich oder gar propositional strukturiert oder nicht-begrifflich, so daß sich Gegenstände sozusagen erst ergeben, wenn andere kognitive Fähigkeiten auf ihn angewendet werden?
(2) Wie kann Wahrnehmung trotz der Phänomene der Halluzination, der optischen Täuschung oder des Träumens eine zentrale Quelle von Erkenntnis sein?
Bedroht die Möglichkeit solcher „Fehler” die allgemeine epistemische Rechtfertigung von Wahrnehmungsmeinungen und wenn nicht, warum nicht? Wie läßt sich der Gehalt nicht-veridischer Wahrnehmungserfahrungen angemessen konzipieren?
Wir schauen uns die relevanten skeptischen Herausforderungen genauer an und lernen verschiedene Arten kennen, ihnen philosophisch zu begegnen.
Literatur
Einen empfehlenswerten Einstieg und Überblick bietet:
- Dancy, Jonathan, 1985, An Introduction to Contemporary Epistemology, Blackwell (darin: Kap. 1 „Scepticism”, Kap. 10 „Theories of Perception” und Kap. 11 „Perception: The Choice of a Theory”).
Behandeln werden wir u.a. (Auszüge aus):
- Burge, Tyler, 2003. „Perceptual Entitlement" in: Philosophy and Phenomenological Research 67(3).
- McDowell, John, 1994, Mind and World, Cambridge, MA: Harvard University Press.
- Strawson, Peter, 1979, Perception and its Objects, in G. Macdonald (Hrsg.), Perception and Identity: Essays Presented to A.J. Ayer with His Replies, London: Macmillan.
- Stroud, Barry, 2018, Seeing, Knowing, Understanding: Philosophical Essays, Oxford University Press.
Die vollständige Literaturliste wird zu Beginn des Seminars bekannt gegeben.
Zeit: Dienstag 14-16 Uhr
Ort: Geb. B2 2, Raum 2.23