Grenzen
Grenzen der Ersatzpflicht
Wer den Schaden als Differenz zwischen einer realen und einer hypothetischen Vermögenslage fasst, die Bestimmung des Vermögensgutes vom Gegenstandserfordernis löst und an der Marktbewertung orientiert, schließlich festlegt, wann vom haftungsbedingten Ausfall eines solchen Vermögensgutes gesprochen werden kann, hat damit die schadensrechtliche Problematik noch immer nicht erschöpft. Er steht vor der vergleichbar schwierigen Frage, ob und gegebenenfalls wie die Ersatzpflicht zu begrenzen sei. Das Gesetz scheint in den meisten Fällen eine eindeutige Antwort auf diese Frage bereitzuhalten. Es ordnet bei Vorliegen eines haftungsbegründenden Tatbestandes an, dass der Ersatzpflichtige den "daraus entstehenden Schaden" zu ersetzen habe (vgl. etwa §§ 823 Abs. 1 und 2, 824, 833, 1 HaftpflG, 7 Abs. 1 StVG). Dies könnte man so verstehen, dass dem Ersatzpflichtigen sämtliche Schadensfolgen angelastet werden, die vom haftungsbegründenden Ereignis verursacht sind. Die Kausalität würde so zum allein maßgeblichen positiven Zurechnungsfaktor für die Frage der Haftungsausfüllung. Es wäre mit der für praktische Zwecke regelmäßig ausreichenden Faustformel der Äquivalenztheorie lediglich zu fragen, ob das haftungsbegründende Ereignis hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt (Conditio-sine-qua-non-Formel; zu ihr und ihrer wissenschaftstheoretisch fundierten Kritik Schulin, Der natürliche - vorrechtliche - Kausalitätsbegriff im zivilen Schadensersatzrecht, 1976, S. 99 ff.).
Die Untauglichkeit der Adäquanzformel
Die Rechtsprechung versucht seit jeher, die dem Ersatzpflichtigen zuzurechnenden Schadensfolgen mit Hilfe der Adäquanzformel (zur Adäquanztheorie eingehend Lange § 3 VI) einzugrenzen. In der Leitsatzfassung in BGHZ 3, 261 lautet diese: "Eine Begebenheit ist adäquate Bedingung eines Erfolges, wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolges von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht hat. Bei der dahin zielenden Würdigung sind lediglich zu berücksichtigen a) alle zurzeit des Eintritts der Begebenheit dem optimalen Beobachter erkennbaren Umstände, b) die dem Setzer der Bedingung noch darüber hinaus bekannten Umstände. Diese Prüfung ist unter Heranziehung des gesamten im Zeitpunkt der Beurteilung zur Verfügung stehenden Erfahrungswissens vorzunehmen." Die Formel ist u. U. geeignet, die mitunter schwierige Antwort auf die Kausalitätsfrage als solche zu leiten (vgl. Schünemann JuS 1979, 19; JuS 1980, 31; dagegen Weitnauer JuS 1979, 697). Sie lässt es aber darüber hinaus nicht zu, eine Schadensfolge als inadäquat auszuscheiden. Wenn dies dennoch geschieht, stehen dahinter regelmäßig andere als zahlenmäßige Üblichkeitserwägungen. Die Formel kann deshalb wegen Verfehlung des postulierten Eingrenzungszwecks getrost aufgegeben werden. Es hilft auch nicht weiter, wenn man ihr eine weniger scharfe Fassung gibt (a. A. u. a. Larenz SchuldR AT § 27 III b 1; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 2. Aufl. 1996, § 11 VII, 6). Die drängende Aufgabe, Gefahren- und Risikobereiche abzugrenzen, ist heute mit anderen Kriterien als denen der adäquaten Kausalität zu bewältigen. Einen wichtigen Anhaltspunkt bieten hier die im Rahmen der Haftungsbegründung weitgehend streitfreien Zurechnungen nach dem Schutzzweck der Haftungsnormen . Sie machen deutlich, dass auch eine weniger scharf gefasste Adäquanzformel disfunktional ist, weil einerseits Haftungsnormen dem Geschädigten auch ganz ungewöhnliche Schadensentwicklungen abnehmen und andererseits durchaus gewöhnliche Schadensentwicklungen aus dem Bereich der durch eine Haftungsnorm geschützten Interessen herausfallen können.
Haftung für inadäquate Schäden
Im Impfschadenfall (BGHZ 18, 286) hatte eine beim Ehemann und Vater der Kläger durchgeführte Schutzimpfung infolge ganz ungewöhnlicher Umstände zu dessen Tode geführt. Hier konnte der Aufopferungsanspruch der Hinterbliebenen nicht davon abhängen, ob die Realität gewordenen Komplikationen mit einer gewissen statistischen Regelmäßigkeit auftreten oder so selten sind, dass man mit ihnen nicht zu rechnen brauchte. Der Aufopferungsanspruch soll dem Geschädigten das Vermögensrisiko des Impfschadens überhaupt abnehmen. Im Ergebnis entschied der BGH ebenso - unter Berufung auf den Adäquanzgedanken, der dann in der Begründung jeglicher Konturen beraubt wird. Denn es sei ,,zu berücksichtigen, dass die Frage der Adäquanz zwischen Bedingung und Erfolg nicht rein logisch abstrakt nach dem Zahlenverhältnis der Häufigkeit des Eintritts eines derartigen Erfolges beantwortet werden kann, sondern dass mit einer wertenden Beurteilung aus der Vielzahl der Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenigen ausgeschieden werden müssen, die bei vernünftiger Beurteilung der Dinge nicht mehr als haftungsbegründende Umstände betrachtet werden können, dass mit anderen Worten mit einer wertenden Beurteilung die Grenze gefunden werden muss, bis zu der dem Urheber einer Bedingung eine Haftung für ihre Folgen billigerweise zugemutet werden kann" (BGHZ 18, 288). Die Aufgabe ist mit der Adäquanzformel nicht zu bewältigen. Das zeigt auch das von Weitnauer (FS Oftinger S. 339) berichtete Beispiel eines Uranunfalls in einem nordamerikanischen Laboratorium: Die Uranbehälter waren von solcher Größe und so angeordnet, dass das zufällige Zustandekommen einer Kettenreaktion als ausgeschlossen angesehen wurde. Infolge von zwölf nacheinander vorgenommenen ungewöhnlichen und unzusammenhängenden Handlungen trat der ganz ungewöhnliche Fall aber dennoch ein: In einem Gefäß wurde eine zur Kettenreaktion ausreichende Menge der Uranlösung zusammengeschüttet, und es kam zu einem nuklearen Unfall. Auf den Rechtsbereich der BRD übertragen müsste derjenige, der dabei Sicherungsvorschriften verletzt hat, "nach § 823 BGB haften und könnte sich, nach dem Sinne der Sicherungsvorschrift, nicht auf Inadäquanz berufen, obwohl der Einzelne von zwölf Verstößen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kettenreaktion eintrat, nur in ganz geringfügiger, unerheblicher Weise erhöhte" (Huber FS Wahl S. 320).
Nichthaftung für adäquat verursachte Schäden
In der vorläufig letzten der Grünstreifenentscheidungen (BGHZ 58, 162; dazu Lange JuS 1973, 280; MünchKomm/Oetker, § 249 Rdnrn. 153 f.) wollten ungeduldige Verkehrsteilnehmer die Freigabe der durch einen Unfall blockierten Straße nicht abwarten und bahnten sich einen Weg über angrenzende, dem Verkehr nicht offen stehende Flächen. Deren Eigentümer verlangte Ersatz für die entstandenen Schäden vom Unfallurheber. Der BGH hat (anders als die Vorinstanz OLG Bremen VersR 1970, 424) den Anspruch versagt, obwohl er einräumen musste, dass die Reaktionen der an der Weiterfahrt auf der Straße gehinderten Verkehrsteilnehmer durchaus nicht ungewöhnlich und somit die Schäden am Randstreifen noch adäquate Folgen des vorangegangenen Unfalls waren (S. 164). "Der Fahrer und der Halter des LKW waren verantwortlich für den Zusammenstoß und seine Folgen für andere Verkehrsteilnehmer, die etwa in den Unfall verwickelt worden waren, sowie für alle durch den Zusammenstoß in Mitleidenschaft gezogenen Sachen. Für die Beschädigung des Rad- und Gehweges sind aber bei dem hier gegebenen Schadensverlauf allein die Kraftfahrer, die über ihn gefahren waren, verantwortlich. Die für den Fahrer des LKW geltenden Gebote und Verbote schützten nur insoweit auch die Interessen derer, die mit ihrem Eigentum dem Verkehrsraum nahe waren, als der Fahrer nicht mit seinem LKW auf den Bürgersteig geraten und nicht Anlass dafür geben durfte, dass andere Fahrzeuge, um nicht mit ihm zusammenzustoßen, auf das Gelände neben der Straße ausweichen mussten. In seinen Pflichtenkreis fällt aber nicht mehr das, was sich, nachdem das Unfallgeschehen beendet war, dadurch ereignete, dass die nachfolgenden, schon zum Halten gelangten Kraftfahrer über den Rad- und Gehweg fuhren, um schneller vorwärts zu kommen. Diese daran zu hindern, war der LKW-Fahrer weder tatsächlich in der Lage noch rechtlich verpflichtet" (BGHZ 58, 162 ff., 168).
Die Schutzbereichslehre
Die Theorien der adäquaten Kausalität bieten weder ein positives Zurechnungskriterium, weil adäquate Verletzungsfolgen aus der Ersatzpflicht herausgenommen werden, noch ein negatives Ausgrenzungskriterium, weil auch nicht adäquate Verletzungsfolgen in die Ersatzpflicht einbezogen sein können. Sie sollten daher aufgegeben und durch jene Lehre ersetzt werden, die den Ausschluss adäquater Verletzungsfolgen und die Hereinnahme inadäquater Verletzungsfolgen regiert: die Lehre vom Schutzbereich der jeweils in Rede stehenden Norm (im Ergebnis ebenso MünchKomm, 3. Aufl./Grunsky vor § 249 Rdnr. 42 ff.; a.A. MünchKomm, 4. Aufl./Oetker, § 249 Rdnr. 114).
Schutzbereich und Folgeschäden
Während die Schutzbereichslehre für die Frage, ob die vom Schädiger verursachte Rechtsgutsverletzung (Erstverletzung) nach Gegenstand und Art eine Ersatzberechtigung für gerade diesen Träger des Rechtsguts auslöst, allgemein anerkannt ist, wird ihr die Relevanz für die Differenzierung der auf der Rechtsgutsverletzung beruhenden Folgeschäden (Folgeverletzungen) in zu ersetzende und nicht zu ersetzende häufig bestritten (Keuk S. 224 ff.; Schickedanz NJW 1971, 916; differenzierend Larenz SchuldR AT § 27 III 2). Auch die oben gegen die Adäquanztheorien angeführten Beispiele beziehen sich in der Regel auf die Zurechnung von Erstverletzungen, so dass sie für die Zurechnung von Folgeschäden unmittelbar nichts hergeben. Es könnte ja durchaus sein, dass man die Frage, ob etwa Verhaltensgebote im Straßenverkehr, die unzweifelhaft zum Schutz der körperlichen Integrität aufgestellt sind, auch den Zweck haben, die Verkehrsteilnehmer vor ärztlichen Kunstfehlern zu schützen, als nicht legitim abweisen müsste, weil sie das auf Totalrestitution lautende Gesetzesprogramm verfehlt. Dem Unfallopfer sollen - darüber besteht im Ergebnis Einigkeit - auch die Schäden ersetzt werden, die ihm auf Grund unsachgemäßer ärztlicher Behandlung entstanden sind (BGH NJW 1961, 2203). Ebenso einhellig wird seinen Angehörigen im gleichermaßen unpraktischen wie illustrativen Lehrbuchbeispiel der Ersatzanspruch versagt, wenn wegen des unfallbedingten Krankenhausaufenthaltes der geplante Flug verschoben wird und der Ersatzflug fatal endet. Nach welchen Kriterien, wenn nicht nach der Adäquanzformel, soll aber hier differenziert werden?
Allgemeines Lebensrisiko und spezifisches Schadensrisiko - Fallgruppen
Die Forderung, allgemeine Lebensrisiken von den abnehmbaren spezifischen Schadensrisiken zu trennen, ist leichter gestellt als erfüllt. Im Anschluss an vorliegende Systematisierungsversuche (Huber FS Wahl S. 322 ff.; Kramer JZ 1976, 338 ff., 343 ff.; Lüer Die Begrenzung der Haftung bei fahrlässig begangenen unerlaubten Handlungen, 1969, S. 137 ff.) lassen sich Fallgruppen bilden, ohne eine schon abgeschlossene theoretische wie praktische Problembewältigung vorzutäuschen (zum Problemkreis auch Mädrich Das allgemeine Lebensrisiko, 1980).
1) Die Teilnahme am allgemeinen Verkehr auf der Straße, der Schiene, zu Wasser und in der Luft birgt Risiken in sich, denen sich jedermann aussetzt und aussetzen muss. Realisiert sich das Risiko, so kann es nicht auf den abgewälzt werden, dessen Verhalten zwar Ursache für die konkrete Teilnahme am allgemeinen Verkehr war, aber doch keine spezifische Risikoerhöhung bewirkte. Deshalb haftet man nicht für Schäden, die der Verletzte dadurch erleidet, dass ihm bei dem späteren Flug ein Unglück zustößt, er auf dem Transport ins Krankenhaus oder bei der Taxifahrt vom Krankenhaus nach Hause in einen weiteren Unfall verwickelt wird, obwohl Flug, Transport und Taxifahrt ohne den Erstunfall so nicht stattgefunden hätten. Der Erstunfall hat aber nicht zur Erhöhung des allgemein mit der Teilnahme am Verkehr verbundenen Risikos, einen Unfall zu erleiden, geführt. Diese Sicht der Dinge ändert sich, wenn der weitere Unfall auf die besondere Gefährlichkeit des durch den ersten Unfall induzierten Nottransports zurückzuführen ist. Im Grenzbereich zwischen allgemeinem Lebensrisiko und infolge der Erstverletzung gesteigerten Risiko liegt der vom BGH (NJW 1952, 1010) unter Adäquanzerwägungen entschiedene Krückenfall: Der Geschädigte hatte durch Verschulden eines anderen ein Bein verloren und trug seitdem eine Krücke. Bei Kriegsende geriet er als Zivilist mit seiner Familie unter Artilleriebeschuss. Während sich die übrigen Familienmitglieder durch Davonlaufen retten konnten, wurde der Beinamputierte von einem Granatsplitter tödlich getroffen. Der BGH sah dies als inadäquate Folge des Unfalls an; andere sprechen - wohl mit Recht - von der Verwirklichung eines spezifischen durch den Unfall gesteigerten Risikos (Kramer JZ 1976, 344).
2) Unfallbedingter Krankenhausaufenthalt und Krankenbehandlung bergen Gefahren in sich, die der Unfallverantwortliche dem Unfallopfer abnehmen muss. Jedoch ist auch hier darauf zu achten, dass die Haftung nur bei spezifischer Gefahrerhöhung eintritt. Sie liegt vor, wenn der Verletzte sich infiziert (RGZ 105, 264) oder fehlbehandelt (RGZ 102, 230) wird. Sie ist dagegen zu verneinen, wenn der Verletzte von seinem Zimmernachbarn verprügelt wird (Beispiel nach Huber FS Wahl S. 324) oder Schäden durch ärztliche Eingriffe erleidet, die gar nicht auf die Beseitigung und Behandlung der Unfallverletzungen zielen: Wegen der Unfallverletzung muss die Bauchhöhle geöffnet werden. Dabei wird ein unfallunabhängiges „Meckelsches Divertikel" entdeckt, dessen - medizinisch indizierte - Entfernung zum Tode des Unfallopfers führt (BGH 25, 86). Oder der behandelnde Arzt empfiehlt dem Patienten, sich für die Zukunft gegen Tetanus impfen zu lassen. Die Impfung, die zur Behandlung der Unfallverletzung nicht gefordert ist, löst eine schließlich fatale Allergie aus (BGH NJW 1963, 1971).
3) Eine weitere Fallgruppe lässt sich dadurch kennzeichnen, dass durch das haftungsbegründende Ereignis eine dem Verletzten schädliche Folge ausgelöst wird, die der Verletzer aber auch ohne das haftungsbegründende Ereignis hätte auslösen dürfen. Solche Folgen braucht der Verletzer dem Verletzten nicht abzunehmen: Ein Autofahrer hat eine geringe Menge Alkohol getrunken. Er wird schuldlos in einen Unfall verwickelt, bei dem er verletzt wird. Der Röhrchentest fällt positiv aus. Sein Führerschein wird einbehalten, bis das gerichtsmedizinische Institut die Blutprobe ausgewertet hat und sich seine Unschuld herausstellt (Beispiel nach Huber FS Wahl S. 322). Der infolge des zeitweiligen Führerscheinverlustes eingetretene Vermögensschaden kann nicht beim Unfallverantwortlichen liquidiert werden. Denn er hätte auch ohne den Unfall auf den Alkoholgenuss mit den entsprechenden Folgen aufmerksam machen dürfen. Diese Erwägung trägt auch die grundlegende Entscheidung des BGH zur Schutzbereichslehre (JZ 1969, 702): Einem Schrankenwärter der Bundesbahn war die Vorfahrt genommen worden. Dies führte zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Bundesbahnbedienstete eine Kopfverletzung erlitt. Die Behandlung seiner Kopfverletzung ergab, dass er - unfallunabhängig - an Hirnsklerose litt. Der Dienstherr pensionierte ihn daraufhin vorzeitig. Der Verletzer kann nicht auf Ausgleich der Mindereinnahmen in Anspruch genommen werden, weil die Entdeckung von Krankheiten ein allgemeines Lebensrisiko ist, das der Verletzer hier sogar vorsätzlich hätte realisieren dürfen.
4) Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem ein Schädiger dadurch entlastet wird, dass ein Dritter (und sei es auch vorsätzlich und rechtswidrig) zum Nachteil des Geschädigten in den Kausalverlauf eingreift und ohne Vorliegen der Rechtsgutsverletzung nicht eingegriffen hätte (BGHZ 72, 355 ff., 360). Den Vermögensverlust, den der bewusstlos Geschlagene dadurch erleidet, dass er im Zustand der Bewusstlosigkeit von einem Dritten bestohlen wird, hat der Schläger als zurechenbare Folge der Körperverletzung auszugleichen, weil dieser Schaden auf einer spezifischen vom Schutzbereich der Norm erfassten Gefahrerhöhung beruht.
5) Schwierigkeiten bereiten die Schadensentwicklungen, die zwar durch eine Rechtsgutsverletzung ausgelöst, in ihrem Ausmaß allerdings Folge einer besonderen Veranlagung oder Krankheit des Opfers sind. Soll der Verletzer hier nur für den normalen Schaden haften, weil das besondere Ausmaß eine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos des besonders Veranlagten ist? Die Rechtsprechung hat dies seit jeher verneint und den Verletzer für alle Folgen haften lassen, denn er habe ,,kein Recht darauf, so gestellt zu werden, als ob er einen völlig gesunden Menschen verletzt habe" (RGZ 169, 117, 120). Dies gilt auch für die je verschiedene Vermögensorganisation, die der Verletzer antrifft. Das wohl situierte und gut beschäftigte Unfallopfer belastet ihn mit einem höheren Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns als der in seiner Arbeitsfähigkeit betroffene ungelernte Gelegenheitsarbeiter. Wer einen gewerblich genutzten LKW beschädigt, muss auch für die schädlichen Folgen einstehen, die der besonderen finanziellen Situation des Geschädigten entspringen, der die Reparaturkosten nicht zahlen kann, keinen Kredit bekommt, den LKW deshalb beim Reparaturunternehmer belassen muss und so schließlich zur Aufgabe seines Unternehmens gezwungen ist (BGH VersR 1963, 1161).
Was für die individuell geprägten Vermögenslagen recht ist, sollte für unterschiedliche physische und psychische Dispositionen billig sein. Lange (JZ 1976, 207) sieht Schwierigkeiten für die Durchführung dieser Regel, wenn es dem Opfer an einem Minimum an physischer oder psychischer Widerstandskraft gebricht: Ein harmloser Hund bellt eine nervenschwache Frau an. Diese stürzt und verletzt sich schwer (RG JW 1908, 41). Ein normales Fluggeräusch führt dazu, dass Muttertiere von Silberfüchsen verwerfen oder ihre Welpen auffressen (RG 159, 34). Ein Verkäufer tritt seinem Kunden, der an schweren arteriellen Störungen leidet, auf den Fuß. Das macht eine Beinamputation am Oberschenkel erforderlich (OLG Karlsruhe VersR 1966, 741). Keiner dieser Fälle betrifft die im Rahmen der Haftungsausfüllung zu beantwortende Frage nach der Zurechnung von Folgeschäden. Die ersten beiden werfen das Problem der Zurechnung der Erstverletzung zu der Gefahr auf, um derentwillen die Haftung des Tierhalters bzw. der Luftgesellschaft begründet worden ist. Es spricht vieles dafür, schon die Haftungsbegründung zu verneinen, weil die Rechtsgutsverletzungen nicht auf dem spezifischen haftungsbewehrten Gefährdungspotential beruhen. Auch der dritte Fall hat seinen eigentlichen Problemschwerpunkt im Rahmen der Haftungsbegründung. Es geht darum, ob die Erstverletzung sorgfaltswidrig war. Im allgemeinen Gedränge muss man es hinnehmen, dass ein anderer einem auf den Fuß tritt. Sollte die Sorgfaltswidrigkeit zu bejahen sein, ist auch der Schaden zu ersetzen, der auf einer ungewöhnlichen Disposition des Verletzten beruht. Für eine Grenzziehung nach dem Minimum an physischer oder psychischer Widerstandskraft besteht bei der Haftungsausfüllung kein Anlass.
Schadensersatzverpflichtung ohne Rechtsgutsverletzung (Erfüllungs- und Vertrauensinteresse)
Die am Normzweck ausgerichtete Schutzbereichslehre entscheidet nicht nur darüber, ob die beim Anspruchssteller eingetretene vom Anspruchsgegner verursachte Rechtsgutsverletzung nach Gegenstand und Art eine Haftung des Anspruchsgegners begründet. Sie reicht auch in den Bereich der Haftungsausfüllung hinein, wo mit normativen Erwägungen solche Schäden aus der Haftung ausgenommen werden, in denen sich trotz der kausalen Verknüpfung mit der Rechtsgutsverletzung dennoch nur ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Die Zurechnung der Folgeschäden zur Rechtsgutsverletzung unterscheidet sich allenfalls dadurch von der Zurechnung der Rechtsgutsverletzung zur Haftungsnorm, dass diese auf Normspezifika ausgerichtet ist und deshalb je nach Norm unterschiedlich ausfallen kann, während jene für alle Haftungsnormen einheitlich gilt. Aber auch dieser Unterschied entfällt, wenn die Schadensersatzverpflichtung nicht an eine Rechtsgutsverletzung geknüpft ist. Dann nämlich scheiden spezifische Normzweckerwägungen erst und unmittelbar im Schadensbereich zwischen ersatzfähigen und nicht ersatzfähigen Schäden. Praktisch relevant wird dies insbesondere bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen. Sie können das positive Interesse des Gläubigers an der Erfüllung schützen und rechtfertigen dann das Verlangen, vermögensmäßig so gestellt zu werden, wie der Gläubiger stünde, wenn der Schuldner erfüllt hätte. Sie können aber auch das negative Interesse schützen und dem Gläubiger als Schadensersatz nur das gewähren, was ihm im Vertrauen auf die Gültigkeit etwa einer Willenserklärung verloren gegangen ist. Sie können schließlich das Integritäts-(Erhaltens-)interesse schützen und gewähren dann Ausgleich für die Einbußen, die der Gläubiger an seinen Rechts- und Vermögensgütern erlitten hat. Wichtig ist, dass der Bestandteil eines bestimmten Interesses nur verfolgt werden kann, wenn der entsprechende Haftungstatbestand verwirklicht ist (vgl. Keuk S. 163). Welches Interesse geschützt wird, muss im Zusammenhang mit der jeweiligen Haftungsnorm geklärt werden (vgl. H. B. Rengier Die Abgrenzung des positiven Interesses vom negativen Vertragsinteresse und vom Integritätsinteresse, 1977; vor §§ 275 ff. Rz. 52 ff.).