Feminicidio, auch femicidio/Femizid, also die Tötung von Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszuschreibung, ist eine global anzutreffende Form von Gewalt, die in den letzten 30 Jahren besonders in den Ländern Lateinamerikas eine gravierende Zunahme erfahren hat. International traurig bekannt ist die nordmexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez durch die seit den 1990er Jahren anhaltende Serie von systematischen und fast immer unaufgeklärt bleibenden, extrem grausamen Morden an Frauen. Die Coronakrise hat das Phänomen vielerorts noch verschärft. Im ersten Halbjahr 2020 stieg die Femizidrate in Mexiko um 9,3 Prozent, fast 500 sexistische Tötungsdelikte waren in dem Zeitraum allein in diesem Land zu registrieren. In den letzten 20 Jahren sind aber auch zivilgesellschaftliche und kulturelle Widerstands- und Protestbewegungen entstanden („Ni una más“, „Ni una menos“), die die Aufmerksamkeit auf diese spezielle Form der Gewalt und ihre Ursachen lenken, und politische Maßnahmen dagegen einfordern.
Wir werden uns im Seminar zunächst mit den gesellschaftlichen, psychologischen und (geo-)politischen Kontexten und Hintergründen des Phänomens auseinandersetzen (patriarchale, nachkoloniale und postdiktatorische Gesellschaftsordnungen und Geschlechternormen, Neoliberalismus und soziale Ungleichheit, bewaffnete Konflikte, Drogenkartelle, Korruption, Autoritätsverlust von Staatsmacht), sowie verschiedene wissenschaftliche Forschungen und Erklärungsansätze dazu kennenlernen.
Im zweiten Teil des Seminars betrachten intermedial Formen der kulturellen Auseinandersetzung mit Feminicidios im lateinamerikanischen Kontext: Schriftsteller*innen, Filmschaffende, Künstler*innen und Aktivist*innen beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf solche auch kollektiv traumatisierenden Ereignisse. In der detaillierten Analyse verschiedener Medien werden wir nach der Darstellbarkeit von Gewalt, nach der Problematik sensationalisierender Thematisierung z.B. in journalistischen Formaten oder breit vermarkteter Crime-Fiction, sowie nach den Potentialen des Widerstands, der Kritik oder sogar der Verarbeitung und ‚Heilung‘ in künstlerischen Artikulationen fragen. Das Motiv des Frauenmords wird dabei auch in historischen Beispielen aus Literatur und Kunst vergleichend in den Blick kommen.