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VL Unser Zeitalter der Reparation(en)

Die große Zukunftsaufgabe Europas ist die Neugestaltung seiner Verhältnisse zur Welt. Nach Jahrhunderten des Zukunftsoptimismus der Moderne befindet sich Europa in einer Übergangsphase: Zukunftsperspektiven lassen sich heute wesentlich nur noch aus reparativen Prozessen gewinnen. Dies liegt an den Beschädigungen und Zerstörungen, welche die Moderne selbst dialektisch mit hervorgeberacht hat, die unsere Zeit prägen und die von uns „reparatives” Denken und Handeln verlangen. Hierzu zählen die politische, ökonomische und symbolische Aufarbeitung von 500 Jahren Kolonialismus und Imperialismus; die Zusammenführung dieser Welterfahrung mit der Opferschaft der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts; die Aufhebung der Spaltung vieler Gesellschaften unter den Folgen der sich seit den 1970er Jahren rasant beschleunigenden Globalisierung; ökonomische, soziale und kulturelle Ausgleichsprozesse auf allen Ebenen sowie die Erkenntnis, dass Ressourcenbeschränktheit und Klimawandel zu einer ökologischen Wende nicht nur der Technik, sondern der Lebenskulturen zwingen. Will man unsere Zeit also (nicht allein) in antagonistischen Prozessen verstehen, ist es nicht übertrieben zu sagen, dass wir in einem Zeitalter der Reparation(en) leben.

Das wirft zahlreiche Fragen auf: Was bedeutet überhaupt „reparieren”? Wie lassen sich „Gesellschaften” oder „Natur” reparieren? Wie gehen wir transgenerationell mit Traumata um? Kann man Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie etwa Völkermorde überhaupt reparieren? Dabei kommen wir an der ethischen Frage des Irreparablen und auch des komplexen Zusammenhangs von materieller Entschädigung und symbolischer Anerkennung nicht vorbei: in welchen Formen können wir reparieren? Dies führt schlussendlich auch zu geschichtsphilosophischen Fragen: Soll überhaupt repariert werden, und wenn ja, warum? Wer ist der „Richter” der Geschichte, wer sind die Akteure? Gibt es so etwas wie Sinn in der Geschichte? Welche Bedeutung hat ein universalistisches Menschheitsverständnis für Vorstellungen von Reparation? 

Die Vorlesung ist der Versuch einer Annäherung an diese Grundfragen der Gegenwart. In ihr werden historische Beispiele mit systematischen Reflexionen verwoben. 

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