Beweislastverteilung

Nach welchen Regeln die Rechtsnormen in die eine oder andere Kategorie (anspruchsbegründende, gegenrechtsbegründende und anspruchserhaltende Normen) aufgeteilt werden, wird mit der Beweislastverteilung beantwortet.

Beweislastverteilungsregeln gelten unabhängig von den Parteirollen und haben am Rechtscharakter der Normen teil, über deren tatsächliche Voraussetzungen gestritten wird. Die Verteilungsregeln für die tatsächlichen Voraussetzungen prozessualer Normen gehören danach dem Prozessrecht, die für die Voraussetzungen materiellrechtlicher Normen dem materiellen Recht an.

Mit der Zuordnung der Beweislastverteilungsregeln zum Bereich der Normen, deren tatsächliche Voraussetzungen im Prozess vorgetragen werden müssen, ist nichts darüber gesagt, welchen Inhalt die Beweislastverteilungsregeln haben. Diese Frage ist vornehmlich im Zusammenhang des je betroffenen Rechtsbereichs zu beantworten.

Spezialliteratur hierzu bei Baumgärtel u.a., Handbuch der Beweislast im Privatrecht, mehrere Bände seit 1982; Gottwald, Grundprobleme der Beweislastverteilung, Jura 1980, 225 ff.; ders., Sonderprobleme der Beweislastverteilung, Jura 1980, 303 ff.; Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, 1975; ders., Die Beweislast JuS 1983, 198 ff., 368 ff., 526 ff., 609 ff.; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts, 1984; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983; Rosenberg, Die Beweislast auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozeßordnung, 5. Aufl. 1965; Wahrendorf, Die Prinzipien der Beweislast im Haftungsrecht, 1976.

Hier sollen lediglich einige Grundzüge benannt und die geringe Tragweite der als Grundregel bezeichneten allgemeinen Verteilungsregel gezeigt werden (vgl. zum leider nicht einheitlichen Sprachgebrauch Prütting, S. 265 ff.; Gottwald, Jura 1980, 225, 227 f.; Musielak, JuS 1983, 198, 201).

Die Grundregel nach der herrschenden Meinung

Da über Beweislastregeln materielle Chancen und Risiken verteilt werden, ist in erster Linie der Gesetzgeber berufen, Beweislastverteilungsregeln festzulegen. Der Gesetzgeber hat jedoch nur wenige Beweislastfragen ausdrücklich geregelt (im BGB etwa §§ 179 Abs. 1, 282 a.F., 345, 363, 2336 Abs. 3), einige die Beweislast berührende Vermutungen in das Gesetz aufgenommen (im BGB etwa §§ 476, 891, 1006, 1362) und im Übrigen auf die ausdrückliche Normierung einer allgemeinen Beweislastverteilungsregel verzichtet, obwohl im Ersten Entwurf zum BGB als § 193 vorgesehen war:

"Wer einen Anspruch geltend macht, hat die zur Begründung desselben erforderlichen Tatsachen zu beweisen. Wer die Aufhebung eines Anspruchs oder die Hemmung der Wirksamkeit desselben geltend macht, hat die Tatsachen zu beweisen, welche zur Begründung der Aufhebung oder Hemmung erforderlich sind."

Die herrschende Meinung und die Rechtsprechung gehen aber dennoch von der Geltung einer allgemeinen Beweislastregel des deutschen Rechts aus, "daß jede Partei die Beweislast für alle Voraussetzungen einer von ihr in Anspruch genommenen Norm trägt" (BGHZ 53, 245, 250). Die Auffassung findet auch Rückhalt in den Motiven zum BGB, wo es über die im Entwurf vorgesehene Regel hinausgehend heißt:

"Wer einen Anspruch geltend macht, hat diejenigen Thatsachen anzuführen und zu beweisen, welche der Regel nach geeignet sind, den Schluß auf die Entstehung des erhobenen Anspruchs zu rechtfertigen. Es kann dem Kläger nicht angesonnen werden, neben dem Entstehen auch das Bestehen des Anspruchs zur Zeit der Geltendmachung darzuthun; ebensowenig liegt ihm ob, die Abwesenheit besonderer Thatsachen zu beweisen, die, wenn sie vorhanden wären, die dem Thatbestande an und für sich zukommende Wirkung ausschließen würden. Die Geltendmachung und der Beweis der rechtsaufhebenden und rechtshindernden Thatsachen ist ebenso Aufgabe der Gegenpartei, wie die Geltendmachung und der Beweis der Einredethatsachen im engeren Sinne" (Mot. I, 382).

Die Grundregel nach Prütting

Damit scheint ein einerseits klares und andererseits sachlich angemessenes allgemeines Beweislastverteilungsprinzip gefunden. Doch der Schein trügt in beiderlei Hinsicht (vgl. die Kritik bei Gottwald, Jura 1980, 229 ff.) Das ist letztlich auch das Ergebnis der Studie von Prütting, mag es dort auch heißen: "Die Beweislastgrundregel des § 193 Erster Entwurf zum BGB gilt im gesamten deutschen Recht mit Ausnahme des Strafrechts. Darüber hinaus hat diese Grundregel weltweite Geltung. Für das Zivilrecht und das Arbeitsvertragsrecht muss die Norm als Gesetzesrecht angesehen werden" (S. 281). Prütting schwebt dabei eine von den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen negativen Anspruchsvoraussetzungen und Voraussetzungen rechtshindernder Normen befreite Grundregel vor. Entscheidend für die Grundregel ist dann allein die zeitliche Zäsur. Für die Zeit bis zum Entstehen des Rechts ist nach der Grundregel der Anspruchsteller gefordert, danach der Anspruchsgegner. Einer solchen Grundregel wird man in der Tat die Geltung nicht absprechen können und sich hernach über die Ausnahmen von der Grundregel, die Belastung eines Beteiligten mit dem Beweisrisiko für Tatsachen aus dem je anderen Bereich, unterhalten müssen.

Diskussion

Die in den Motiven angesprochene weitere Grundregel gewährt ganz offensichtlich keine klare Entscheidungsregel. Um diese Regel im Streitfall anzuwenden, müsste man wissen, wie man die Norm bildet, die einen Anspruch begründet. Da unstreitig zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen auch negative Voraussetzungen (§ 812 BGB "ohne rechtlichen Grund") gehören können, auch solche, die in einem anderen Satz (z.B. das Fehlen der anderweitigen Ersatzmöglichkeit in § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. BGH NJW 1962, 1862), Absatz oder Paragraphen stehen (Stein/Jonas/Leipold, § 286 RN 59 ff.), gibt es dafür jedenfalls kein allein mit den Mitteln der formalen Logik zu bewältigendes Bildungsprinzip. Man könnte daran denken, auf die materiell-rechtlichen Differenzierungen zwischen rechtsbegründenden Tatsachen einerseits rechtsaufhebenden und rechtshindernden Tatsachen andererseits zurückzugreifen, müsste jedoch bei näherem Zusehen feststellen, dass es jedenfalls im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen negativen Anspruchsvoraussetzungen und rechtshindernden Tatsachen gerade die Beweislastverteilung ist, welche eine Tatsache in die eine oder andere dieser Kategorien fallen lässt (Musielak, JuS 1983, 198, 202, Stein/Jonas/Leipold, § 286 RN 44). Wenn man nicht die Beweislastverteilung durch die Beweislastverteilung und damit gar nicht begründen will, müsste man sich nach anderen Gründen für die Zuteilung von Beweisrisiken umsehen. Die sind indessen so vielfältig, dass ein allgemeines Prinzip dabei nicht mehr herausspringt (vgl. Prütting, S. 179 ff. mit einer Zusammenstellung der Sachgründe S. 257 ff.)

Prüttings Grundregel ist da schon leichter zu handhaben, weil für ihre Handhabung die Abgrenzung zwischen den negativen Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Normen von den positiven Voraussetzungen anspruchshindernder Normen keine Rolle spielt. Das Abgrenzungsproblem wird dadurch aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die Verteilung nach Prüttings Grundregel ist ja nicht die endgültige Verteilung. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt anderweitiger Verteilung und das diesseits wie jenseits der durch die zeitliche Zäsur gezogenen Grenze. Der Anspruchsgegner kann mit dem Beweise von (auch negativen) Tatsachen bis zur Entstehung des Rechts und der Anspruchsteller mit dem Beweise von (auch negativen) Tatsachen nach der Entstehung des Rechts belastet sein. Nach welchen Kriterien aber soll man entscheiden, ob die Beweislast nach der Grundregel oder nach einer Ausnahme von der Grundregel verteilt ist? Prüttings Antwort (S. 282 ff.) ist ebenso einfach wie bestechend und beherzigenswert: Die Verteilung richtet sich nach dem Gesetz! Der Rechtsanwender ist aufgerufen, auch bei der Festlegung von Beweislastverteilungsregeln die Gesetzesbindung zu achten. Dabei kommt nicht nur eine Bindung an das vom Gesetzgeber Gesagte, sondern auch an das von ihm Gewollte in Betracht (vgl. Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, § 17). Der Rechtsanwender muss das gesamte Spektrum der Auslegungs- und Rechtsfortbildungsmöglichkeiten (zu den letzteren Koch/Rüßmann, §§ 21 ff.) abschreiten und darf nicht etwa bei der Satzbaulehre stehenbleiben und hernach Rechtsfindung nach Gutdünken betreiben (so auch Musielak, JuS 1983, 198, 202 f.).

Nach der Satzbaulehre geben die vom Gesetzgeber gewählten sprachtechnischen Mittel Aufschluss darüber, welche Beweislastverteilung der Gesetzgeber auch ohne ausdrückliche Normierung dieser Frage angestrebt hat. So deuten Wendungen wie "gilt nicht, wenn ...", "ist ausgeschlossen, wenn ...", "gilt, es sei denn wenn ...." darauf hin, dass hier rechtshindernde mithin vom Gegner zu beweisende Behauptungen (Ausnahmen von der Grundregel) in Rede stehen, während die Formulierung "gilt, wenn ..... nicht vorliegen" auf eine negative Anspruchsvoraussetzung hinweist. Wo die Satzbaulehre nicht weiterhilft, ist nach den Zielen und Grundvorstellungen des Gesetzgebers über die Risikoverteilung im je angesprochenen Bereich zu fragen. Hier mögen höchst unterschiedliche Sachgründe (Prütting, S. 257ff.) in ihr Recht treten, mit deren Wandel es auch zu veränderten Beweislastverteilungen kommen kann. Die materiellrechtlichen Risikoverschiebungen spiegeln sich dann in veränderten Beweislastverteilungen. Das zeigen nicht zuletzt die zahlreichen "Umkehrungen der Beweislast", zu denen die Rechtsprechung im Laufe der Zeit gegriffen hat (vgl. Gottwald, Jura 1980, 303 ff.; Musielak, JuS 1983, 609 ff.). Nicht der Geschädigte muss beweisen, dass für seinen Körper- oder Gesundheitsschaden die feststehende grobe Verletzung von Berufspflichten ursächlich war, sondern derjenige das Gegenteil, der sich den Verstoß zuschulden kommen ließ (so für Ärzte BGH NJW 1975, 1463; MedR 1983, 107; für Organisationsmängel im Krankenhaus BGH NJW 1984, 655; für Schwimmeister BGH NJW 1962, 959). Ebenso wird, wer seine vertragliche Aufklärungspflicht verletzt, mit dem Nachweis belastet, dass sein Gegenüber bei gehöriger Aufklärung nicht anders gehandelt hätte (BGHZ 61, 118; dazu Joachim Schmidt, JuS 1975, 430 ff.; BGH NJW 1984, 1688 zum Warentermingeschäft; BGH NJW 1984, 1397 zur Arzthaftung). Und für den Fall der Schädigung durch ein fehlerhaftes Produkt muss nicht der Geschädigte das Verschulden des Herstellers, sondern der Hersteller beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft (BGHZ 51, 91 - "Hühnerpest").

Last modified: Tuesday, 2 September 2008, 12:04 PM