Verkehrstypisches und sozialtypisches Verhalten
Verkehrstypisches und sozialtypisches Verhalten
Besonders geeignet zur Darstellung der Probleme des verkehrstypischen Verhaltens ist der so genannte "Hamburger Parkplatzfall" (BGHZ 21, 319):
Die streitlustige A benutzte mehrfach einen als gebührenpflichtig bezeichneten Parkplatz. Dabei teilte sie jedes Mal dem Wächter mit, dass sie zwar hier parken wolle, eine Bewachung jedoch ablehne und folglich auch nicht bereit sei, die üblicherweise erhobene Gebühr zu zahlen. Der Parkplatzbetreiber B fordert allerdings dennoch das Entgelt.
Sieht man in der Bereitstellung des Parkplatzes in Verbindung mit dem Hinweis auf seine Gebührenpflichtigkeit ein Vertragsangebot, so steht man vor dem Problem, ob man das Verhalten der A als Vertragsannahme werten kann. Dafür spricht zwar, dass das Parken auf dem Parkplatz eine konkludente Annahmeerklärung darstellt. Jedoch verbietet die eindeutige Aussage der A, dass sie keinen Vertragsschluss will, das Parken als Vertragsannahme auszulegen. Somit fehlt es für eine Annahmeerklärung schon am objektiven Tatbestand der Willenserklärung.
Der BGH hat dieses Problem dadurch gelöst, dass er das Erfordernis einer Annahmeerklärung im Hinblick auf die Lehre vom sozialtypischen Vertrag für ausnahmsweise nicht erforderlich erklärt hat. Für das Zustandekommen eines Vertrages ist nach dieser Lehre bei der Inanspruchnahme von Leistungen im modernen Massenverkehr (wie z.B. öffentliche Verkehrsmittel, Lieferung von Gas, Wasser, Elektrizität etc.) ausnahmsweise keine Willenserklärung erforderlich, sondern bereits die faktische Inanspruchnahme ausreichend. Denkt man diese Lösung konsequent zu Ende, dann führt sie dazu, dass auch der Minderjährige ohne Einwilligung seiner Eltern (vgl. § 107 BGB) und sogar der Geschäftsunfähige durch die schlichte Inanspruchnahme einer Leistung einen Vertrag zustande bringen kann. Dies ist mit dem Gedanken des Minderjährigenschutzes und dem Schutz des Geschäftsunfähigen unvereinbar. Problematisch an dieser Auffassung ist zudem, dass sie im Gesetz keinerlei Stütze findet. Sie kann für sich lediglich pragmatisch reklamieren, den Bedürfnissen des modernen Massenverkehrs nach einfacher, schneller und unproblematischer Vertragsabwicklung Rechnung zu tragen. Es ist allerdings äußerst fraglich, ob man diesen Erfordernissen nicht ebenso mit den allgemeinen Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen Rechnung tragen kann. So kann man im allgemeinen unproblematisch die faktische Inanspruchnahme einer Leistung des modernen Massenverkehrs als konkludente Annahmeerklärung auslegen, ohne auf das systemwidrige Institut eines faktischen Vertrages zurückgreifen zu müssen. Allerdings hilft die Auslegung von Willenserklärungen dann nicht mehr weiter, wenn der die Leistung Inanspruchnehmende (wie die A im "Hamburger Parkplatzfall") eindeutig erklärt, dass er keinen Vertragsschluss wolle. Dies ist allerdings dann kein Grund, auf die gesetzesferne Lösung der Lehre vom sozialtypischen Vertrag zurückzugreifen, wenn man auch ohne sie in diesem Fall zu gerechten Ergebnissen gelangen kann.
Die weitaus überwiegende Meinung tut dies dadurch, dass sie trotz dem von der A geäußerten Willen, keinen Vertrag schließen zu wollen, einen Vertragsschluss bejaht, indem sie den Widerspruch der A als zu ihrer Leistungsinanspruchnahme widersprüchliches Verhalten gemäß § 242 BGB für unbeachtlich erklärt (protestatio facto contraria). Demgegenüber wird jedoch wieder eingewandt, dass diese Lösung dogmatisch inkonsequent sei, bejahe sie im Ergebnis doch das Vorliegen einer Willenserklärung ohne Vorliegen eines objektiven Erklärungstatbestandes. Im übrigen widerspreche sie dem Prinzip der Vertragsfreiheit und der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung, indem sie jemandem einen Vertragsschluss aufnötige, der erklärtermaßen keinen Vertrag abschließen wolle. Diese Meinung sucht die gerechte Lösung dieses Falles daher im Bereicherungs- (§§ 812 ff. BGB) und/oder Deliktsrecht (§§ 823 ff.). Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass die von ihr so betonte rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung keineswegs gegen die vertragliche Bindung des die Leistung Inanspruchnehmenden spricht, da dieser ja bewusst und willentlich die Leistung entgegennimmt und genau weiß, dass dies nur bei Abschluss eines Vertrages möglich ist. Wenn er dann aber erklärt, er wolle keinen Vertrag abschließen, so setzt er sich so eindeutig in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten, dass nicht einzusehen ist, warum die Rechtsordnung dieses Verhalten auch noch durch die Verneinung des Vertragsschlusses "belohnen" sollte.
Wie die Argumente pro und contra zeigen, stehen wir vor einem offenem Problem. Ich neige der bereicherungsrechtlichen Lösung zu und würde im Falle eines Falles den Vertragsschluss verneinen.