Regresskonstruktionen
Regresskonstruktionen
Wenn mehrere Schuldner bereitstehen, um einem Geschädigten den Schaden abzunehmen, dann stellt sich die Frage, nach welchen Regeln sich das Verhältnis dieser mehreren Schuldner untereinander bestimmt. Soweit der Gesetzgeber sich der Frage ausdrücklich angenommen hat, ist die Antwort unproblematisch. Das gilt für alle Fälle, in denen der Gesetzgeber angeordnet hat, dass der Anspruch des Gläubigers auf den Schuldner übergehen soll, der den Gläubiger befriedigt. Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, welchen der Schuldner er privilegieren möchte und welcher der Schuldner im Ergebnis die Last des Schadensausgleichs tragen soll. Solche Regressanordnungen finden wir in § 116 SGB X für Sozialversicherungen, in § 86 VVG für Privatversicherungen, in § 6 Entgeltfortzahlungsgesetz für Arbeitgeber, die Lohn und Gehalt weiterzahlen, ohne dass ihnen die geschuldete Arbeitsleistung erbracht würde.
Fehlen derartige Anordnungen, dann stellt sich die Frage nach dem passenden Regressmodell im BGB. Es ist die Gesamtschuld. Doch haben viele Juristen Schwierigkeiten mit der Vorstellung, Schädiger und Versicherer oder Brandstifter und Träger der Baulast könnten zu Gesamtschuldnern verbunden sein. Für sie müssen Gesamtschuldner auf einer Stufe stehen. Sie differenzieren Gesamtschuldner von anderen Schuldnermehrheiten und sind darauf verwiesen, für die anderen Schuldnermehrheiten eigenständige Regresskonstruktionen zu entwickeln. Als solche Regressmodelle kommen nach dem BGB in Betracht:
- die Rückgriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB
- der Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 670, 683, 677 BGB
- der Anspruch auf das stellvertretende commodum nach § 285 BGB
- der Anspruch auf Abtretung nach § 255 BGB.
Mit dem Anspruch auf das stellvertretende commodum nach § 285 BGB hat die Rechtsprechung gearbeitet, als der Anspruchsübergang in den Fällen der Lohnfortzahlung noch nicht gesetzlich geregelt war. Heute besteht für diese auf Unmöglichkeitsfälle beschränkte Konstruktion kein Bedürfnis mehr.
Der Anspruch auf Abtretung des Herausgabeanspruchs nach § 255 BGB ist für die (singuläre) Situation gedacht, dass ein Schadensersatzanspruch gegen den fahrlässigen Verwahrer geltend gemacht wird, obwohl der dingliche Herausgabeanspruch gegen den Dieb noch besteht.
Den Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 670, 683, 677 BGB hat das Reichsgericht herangezogen, um im Fuldaer Dombrandfall dem Baulastträger einen Regress gegen den Brandstifter zu geben. Das erforderte die kaum nachvollziehbare Qualifikation des Tätigwerdens des Baulastträgers als Tätigkeit für den Brandstifter.
Beim Bereicherungsanspruch schließlich muss man zu der Annahme greifen, dass mit dem Schadensausgleich durch den Vorsorgeträger der Schaden und damit der Schadensersatzanspruch gegen den Verletzer entfällt, weil man sonst die Bereicherung des Verletzers nicht begründen kann.
In allen Fällen wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Regresskonstruktionen für den Baulastträger und nicht auch umgekehrt für den Brandstifter greifen.
Das alles kann man mit der Gesamtschuld einfacher haben, wenn man im Einklang mit dem Text des § 421 BGB alle die Personen zu Gesamtschuldnern zusammenfasst, die dem Gläubiger nach seiner Wahl die Leistung insgesamt oder teilweise und im Ganzen nur einmal schulden. Doch darüber herrscht Uneinigkeit und Streit.
Das Schwergewicht des bis in das Gemeine Recht zurückverfolgbaren Streits liegt auf der Abgrenzung der Gesamtschuld von anderen Schuldnermehrheiten, die man auch als scheinbare oder unechte Gesamtschulden bezeichnet (vgl. Ehmann, Die Gesamtschuld, 1972, S. 28 ff.). Bei den scheinbaren oder unechten Gesamtschulden handelt es sich nicht um Schuldnermehrheiten, die dem Gläubiger über Mehrfachforderungen die Leistungskumulation gestatten, sondern um Schuldnermehrheiten, die wie die Gesamtschuld dadurch gekennzeichnet sind, dass jeder Schuldner »die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal zu fordern berechtigt ist« (§ 421). Warum man sie dennoch nicht den Gesamtschuldregeln unterwerfen will, lässt sich an den Fällen verdeutlichen, die den unechten Gesamtschulden zugerechnet werden. In diesen Fällen treffen etwa Schadensersatzforderungen gegen Deliktsschuldner mit (auf die Befriedigung desselben Interesses gerichteten) Forderungen gegen Baulastträger (Fuldaer Dombrandfall RGZ 82, 214), Unterhaltsschuldner, Arbeitgeber (Entgeltfortzahlung) und Versicherungen zusammen. Man ist sich einig darüber, dass (im Innenverhältnis) Letztverpflichteter dieser Schuldnermehrheiten der Deliktsschuldner sein soll. Man will also nicht, dass die Leistung des im Innenverhältnis letztlich nicht Verpflichteten den Letztverpflichteten befreit (§ 422) oder dieser einen Ausgleichsanspruch auf den gleichen Anteil gegen den letztlich nicht Verpflichteten erwirbt (§ 426 Abs. 1). ,,Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld" (Ehmann S. 25 ff.) ist die treibende Kraft hinter den zahlreichen Abgrenzungsversuchen, die weder in der Zweckgemeinschaft (noch Kriterium der Rechtsprechung BGH 52,39; 59,97) noch in der Tilgungs- oder Erfüllungsgemeinschaft (Selb, Schadensbegriff und Regressmethoden, 1963, S. 25, 37 f.) noch in der Gleichstufigkeit (Larenz SchuldR AT § 37 I) ein befriedigendes Ergebnis gefunden haben. Die befürchteten Zwänge sind aber auch gar nicht gegeben. Die in § 422 angeordnete Erfüllungswirkung besagt nur, dass der Gläubiger, der die Leistung von einem der Schuldner erhalten hat, sie nicht ein zweites Mal von dem anderen Schuldner verlangen darf. Sie führt aber nicht ohne weiteres zum Erlöschen der Forderung. Diese geht nach § 426 Abs. 2 auf den Leistenden über, soweit er von dem anderen Schuldner Ausgleichung erlangen kann. Nur der Teil der Gläubigerforderung erlischt, der dem Anteil des Leistenden im Innenverhältnis entspricht. Ehmann bezeichnet dies treffend als das ,,kommunizierende System der §§ 422, 426 Abs. 2" (S. 102). Es wird beherrscht von der ,,soweit-Regel" des § 426 Abs. 1, nach der der Ausgleich jeden Wert von 0 bis 1 - vom Totalregress bis zur Regressversagung - annehmen kann.
Welchen Wert der Ausgleich im konkreten Fall annimmt, hängt von Erwägungen ab, die die Hilfsregel des § 426 Abs. 1 (im Zweifel zu gleichen Anteilen) modifizieren. Sie können sich auf besondere vertragliche Vereinbarungen, gesetzliche Bestimmungen (§ 840 Abs. 2 und 3) oder auf an der Schadensnähe ausgerichtete Wertungen stützen. Steht - wie im Fuldaer Dombrandfall - die Wertung erst einmal fest, kann sie im Rahmen der Gesamtschuldregeln angemessen zur Geltung gebracht werden: Leistet der letztverpflichtete Brandstifter, so bringt er die Schuld auch des Baulastpflichtigen zum Erlöschen, da ihm nach der wertenden Ausfüllung der ,,soweit-Regel" des § 426 Abs. 1 kein Regressanspruch zusteht, mit dem die Forderung gegen den Baulastpflichtigen auf ihn übergehen könnte. Leistet hingegen der Baulastpflichtige, so führt dies nicht zum Erlöschen des Anspruchs gegen den Brandstifter, sondern dieser Anspruch geht auf den voll Regressberechtigten nach § 426 Abs. 2 über.
Es fehlt nicht nur jedes Bedürfnis, ungleichstufige Schuldnermehrheiten vom Regelungsbereich der Gesamtschuld auszunehmen; die Herausnahme hat auch noch unangemessene Folgen. Sie zwingt zunächst dazu, nach Konstruktionen zu suchen, mit denen man den einseitigen Regress bewerkstelligen kann. In Betracht kommen die Geschäftsführung ohne Auftrag (RGZ 82, 214), das Bereicherungsrecht (Frotz JZ 1964, 669 f.) und eine ausdehnende Anwendung des § 255 (Selb ). Da nun aber technisch diese Konstruktionen nicht nur dem privilegierten Schuldner der ungleichstufigen Schuldnermehrheit, sondern auch dem an sich Letztverpflichteten zugute kommen können, muss eine Bewertung der Schulden (für das Innenverhältnis der Schuldner) vorgenommen werden. Bei dieser Bewertung stellt man exakt jene Erwägungen an, die die ,,soweit-Regel" des § 426 Abs. 1 bei einer Abwicklung im Gesamtschuldrahmen ausfüllen. Mit der Auslagerung aus der Gesamtschuld ist daher nichts gewonnen (von der zusätzlichen Konstruktionsarbeit einmal abgesehen) und der flexible Regressrahmen des § 426 Abs. 1 verloren. Denn alle anderen Regresswege sind vom Alles-oder-nichts-Prinzip beherrscht, kennen mithin keine Zwischenstufen zwischen dem Totalregress und der völligen Regressversagung.
Dies alles spricht für die Gesamtschuld als umfassendes Abwicklungsmodell für Schuldnermehrheiten, bei denen der Gläubiger die Leistung von jedem Schuldner ganz, insgesamt aber nur einmal verlangen kann. Auch den durch § 255 für die dortige Schuldnermehrheit (Schadensersatz- und Herausgabeschuldner) angestrebten Kumulationsausschluss könnten die Gesamtschuldregeln auf denkbar einfache Weise gewährleisten: Durch automatische Überleitung des Gläubigeranspruchs auf den leistenden und ausgleichsberechtigten Schuldner. Für die Abtretungskonstruktion besteht in der Regel weder Raum noch Bedürfnis. Dass sie dennoch Aufnahme in das Gesetz gefunden hat, erklärt sich letztlich aus Schwierigkeiten, die der Gesetzgeber bei der Legalzession dinglicher Rechte sah (vgl. Rüßmann JuS 1974, 298). Beschränkt man im Einklang mit den gesetzgeberischen Intentionen den Regelungsbereich des § 255 auf die Fälle, in denen es um Ansprüche auf Herausgabe der noch vorhandenen Sache geht, so sind es auch nur diese Schuldnermehrheiten, die nicht im Gesamtschuldmodell abgewickelt werden, obwohl "jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal zu fordern berechtigt ist" (so auch Esser/Schmidt § 39 I).