Unrechtshaftung (Deliktsrecht im engeren Sinne)

Das Grundprinzip der Unrechtshaftung ist schnell ausgemacht: Der Schaden einer Person wird auf das Verhalten einer anderen Person zurückgeführt, das man als Fehlverhalten qualifiziert, weil in der gegebenen Situation von Rechts wegen ein anderes Verhalten geboten gewesen wäre.

Unrechtshaftung

Für die Umsetzung dieses Grundprinzips in das positive Recht bieten sich einem Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten an. Er kann sich darauf beschränken, das Grundprinzip in Worte zu fassen und eine deliktische Generalklausel zu formulieren. Diesen Weg hat der französische Gesetzgeber in Art. 1382 i.V.m. Art. 1383 Code Civil von 1804 beschritten und einen Deliktsrechtstatbestand von bestechender Einfachheit formuliert: "Wer einem anderen durch sein Fehlverhalten einen Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet." Bei einer solchen Generalklausel bleibt die Ausformulierung der Einzeltatbestände, unter denen Schadensersatz zu leisten ist, der Rechtsprechung überlassen. Der deutsche Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs wollte der Rechtsprechung keinen so großen Entscheidungsspielraum gewähren und hat sich deshalb entschlossen, in den §§ 823 bis 853 eine Vielzahl von Haftungstatbeständen zu formulieren. Die reichen von den Grundtatbeständen der Haftung für Rechtsgutsverletzungen (§ 823 Abs. 1 BGB), für Schutzgesetzverstöße (§ 823 Abs. 2 BGB), für vorsätzlich sittenwidrige Schädigungen (§ 826 BGB) bis zu Sondertatbeständen der Kreditschädigung durch Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen (§ 824 BGB) und der Bestimmung zu sexuellen Handlungen (§ 825 BGB).

Für die Realisierbarkeit von Haftungen ist in der Praxis des Haftungsprozesses die Beweislast von besonderer Bedeutung. So kann man die Vielzahl der Haftungstatbestände auch danach differenzieren, wer die Beweislast für das Fehlverhalten (in der gesetzlichen Terminologie das Verschulden) trägt. Bei den Haftungen für Rechtsgutsverletzungen (§ 823 Abs. 1 BGB), für Kreditschädigung (§ 824 BGB), für die Bestimmung zu sexuellen Handlungen (§ 825 BGB) und für die vorsätzlich sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) ist dies der Geschädigte. Bleibt das Fehlverhalten unbewiesen, hat der Geschädigte keinen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch. Bei den Haftungen für Schutzgesetzverstöße (§ 823 Abs. 2 BGB), der Geschäftsherren (§ 831 BGB), der Aufsichtspflichtigen (§ 832 BGB), der Tierhalter und Tieraufseher (§§ 833, 834 BGB) und der Gebäudeunterhalter (§§ 836 bis 838 BGB) liegt das Beweisrisiko für das Fehlverhalten bei den Schädigern. Sie müssen also nachweisen, dass ihnen gerade kein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Misslingt ein solcher Beweis, bleibt es bei ihrer Haftung. Die Geschädigten erhalten einen Schadensersatzanspruch, obwohl ein Fehlverhalten der Anspruchsgegner nicht nachweisbar ist.

Grundtatbestände der deliktischen Haftung

Aus der Vielfalt der Haftungstatbestände in den §§ 823 ff. BGB interessieren uns zunächst die Grundtatbestände der §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 und schließlich des § 826 BGB. Deren Grundmodelle wollen wir uns vergegenwärtigen und später die Erörterungen auf den Grundtatbestand der Geschäftsherrenhaftung des § 831 BGB ausdehnen. Die Grundtatbestände lassen sich vor allem danach unterscheiden, welches Zwischenstück die allen Haftungen gemeinsamen Endpole des Schadens des Gläubigers und des Verhaltens des Schuldners verbindet.

Bei § 823 Abs. 1 BGB ist dies der Eingriff in eines der dort genannten Rechtsgüter.

823-1

Bei § 823 Abs. 2 BGB geht es um die Verletzung eines staatlichen Schutzgesetzes.

823-2

Bei § 826 BGB wird das Zwischenstück durch die Verletzung des Sittengesetzes und die besondere Schuldform der vorsätzlichen Schadenszufügung gebildet.

826

Über die grafische Darstellung stoßen wir namentlich bei den Tatbeständen des § 823 Abs. 1 und 2 BGB auf die wichtige Differenzierung von Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung. Hier sind zwei Rechtskomplexe angesprochen, die im Bürgerlichen Gesetzbuch auch an unterschiedlichen Stellen geregelt sind. Das Haftungsausfüllungsrecht ist das Schadensrecht der §§ 249 bis 253 BGB. Die Verknüpfung von der Rechtsgutsverletzung zum Schaden ist "verschuldensfrei"; ebenso die Verknüpfung von der Schutzgesetzverletzung zu dem daraus resultierenden Schaden. Das bedeutet, dass der Vorwurf des Fehlverhaltens sich nicht auf den Schaden, sondern einmal auf die Rechtsgutsverletzung und zum anderen auf die Schutzgesetzverletzung bezieht. Nur beim Tatbestand des § 826 BGB scheint das anders zu sein. Doch kann man auch hier die Ebenen der Haftungsbegründung und der Haftungsausfüllung unterscheiden. Man muss sich nur etwas genauer fragen, welche Interessen ein Gebot des Anstands, der guten Sitten, schützt. Die vorsätzliche Verletzung dieses Interesses macht dann den haftungsbegründenden Teil aus. Die Schäden, die aus der Interessenverletzung fließen, bilden den Gegenstand der Haftungsausfüllung. Auch sie müssen dann nicht mehr vom Verschuldensvorwurf erfasst sein.

Last modified: Wednesday, 3 September 2008, 2:47 PM