Aufgaben von Juristen

Juristen werden in den verschiedensten Funktionen und Berufen tätig. Sie gehen in die Wirtschaft, wenden sich der Politik zu, suchen und finden Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Einige wenige werden Richter, manche Notare und die weitaus meisten Rechtsanwälte. Die Ausbildung aber zielt auf den Einheitsjuristen. Sie ist in starkem Maße an der Tätigkeit des Richters ausgerichtet. Die anderen Tätigkeiten - so kann man immer wieder hören - kämen dagegen zu kurz. Versucht man, diese anderen Tätigkeiten zu benennen, kommt die Rechtsgestaltung ins Spiel. Dabei spielt die Gestaltung privater Rechtsverhältnisse (durch Anwälte, Notare, Steuerberater) ebenso eine Rolle wie die Gestaltung öffentlicher Rechtsverhältnisse durch den Gesetz- und Verordnungsgeber. Ein zentrales Schlagwort ist zudem die Streitvermeidung. Wo sie gelingt, kommt es gar nicht dazu, dass ein Richter sich mit einer Angelegenheit befasst. Sollte man nicht deshalb besser das Studium des Rechts an den Gestaltungsaufgaben der Juristen und an der Streitvermeidung ausrichten?

Meine Antwort auf diese Frage lautet: Nein! Das klingt ein wenig unmodern. Doch will ich die Antwort gern begründen.

Rechtsgestaltung und Streitvermeidung lassen sich sinnvoll nur betreiben, wenn man eine Idee davon hat, wie im Falle eines Streits dieser Streit von Richtern entschieden würde. Das liegt bei den Rechtsanwälten, die forensisch tätig sind, auf der Hand. Wer vor Gericht zieht oder sich vor die Frage gestellt sieht, ein Gericht anzurufen, hat einen Fall vor sich, bei dem der Streit schon ausgebrochen ist. Hier geht es darum, die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme der Gerichte zu prüfen. Und das kann man nur, wenn man sich in die Rolle des Richters versetzt und den Fall so prüft, wie der Richter das tun würde. Der forensisch tätige Rechtsanwalt braucht mithin die Fähigkeiten eines Richters. Er braucht u.U. noch mehr: nämlich Ideen, wie man eine gerichtliche Auseinandersetzung trotz ausgebrochenen Streits vermeiden und eine sinnvolle Regelung für das zukünftige Miteinander gestalten kann. Diese Fähigkeiten braucht sowohl der, dem die Prüfung aus der Richterperspektive die Erfolglosigkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung avisiert hat, wie auch der, dessen Sache durchaus Erfolg verspricht. Der erste, weil hier die einzige Chance liegt, dem Mandanten zu helfen, der zweite, weil die Auseinandersetzung trotz Erfolgs mehr Schaden als Nutzen zeitigen kann. Hier sind psychologisches Einfühlungsvermögen und wirtschaftliches Verständnis gefragt. Das sind über die juristische Qualifikation hinaus gehende Fähigkeiten. Sie sind nützlich und werden auch in der Juristenausbildung an der Universität des Saarlandes gepflegt werden. Sie machen aber die an der Streitentscheidung ausgerichtete juristische Qualifikation nicht überflüssig.

Das Gesagte gilt mutatis mutandis auch für die Gestaltungs- und Streitvermeidungstätigkeiten, die nicht unmittelbar im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung angesiedelt sind, sondern völlig unabhängig von einem konkreten Streit auftreten.

Der Unternehmer möchte die Unternehmensnachfolge so regeln, dass der Fortbestand des Unternehmens nicht gefährdet ist. Das fähigste seiner Kinder soll heran (die Unternehmensleitung erhalten) und nicht durch Erbansprüche der anderen Kinder so belastet sein, dass dem Unternehmen die erforderliche Kapitalbasis fehlt.

Ein anderer möchte Vorsorge dafür treffen, dass seine Familie auch dann versorgt ist, wenn die Unternehmensgeschäfte scheitern und gar der Vermögensverfall (Konkurs, Insolvenz) droht.

Was hier gegenüber der traditionellen richterlichen Streitentscheidungsperspektive an mehr verlangt ist, ist die

  • Fähigkeit, das Ziel zu erfassen und mit den Mitteln des Rechts einen Weg zur Zielerreichung zu weisen, der sich als rechtlich haltbar erweist (das Ziel wird erreicht) und keine unbedachten Nachteile im Gepäck hat (Steuern!)
  • Fantasie, sich künftige Konflikte und Streitszenarios auszumalen, und Vorsorge dafür zu treffen, dass keiner der Konflikte die Zielerreichung gefährdet.

Gerade der zweite Aspekt macht deutlich, dass auch hier das Einnehmen der Richterperspektive unverzichtbar ist. Man muss sich das Konfliktpotential und die Fälle ausmalen, fragen, wie der Richter bei der einen oder anderen Gestaltung entscheiden würde, und die Gestaltung wählen, bei der das Ziel auch durch die richterliche Entscheidung nicht gefährdet wird.

Ich betone noch einmal: Die zusätzlichen Fähigkeiten sind wichtig. Sie machen aber die Fähigkeit, wie ein Richter über reale oder gedachte Fälle zu entscheiden, nicht obsolet. Im Gegenteil: Diese Fähigkeit ist und bleibt unverzichtbar! Sie ist die Basisqualifikation eines jeden Juristen.

Modifié le: mardi 17 août 2010, 11:01