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Zeit: Dienstags 12-14 Uhr
Ort: Geb. B2 2, Raum 2.23
[Upon Request this seminar can be tought in English.]

"Für den Mathematiker gibt es kein Ignorabimus, und meiner Meinung nach auch für die Naturwissenschaft überhaupt nicht. [...] Der wahre Grund, warum es Comte nicht gelang, ein unlösbares Problem zu finden, besteht meiner Meinung nach darin, daß es eun unlösbares Problem überhaupt nicht gibt. Statt des törichten Ignorabimus heiße im Gegenteil unsere Losung: Wir müssen wissen, wir werden wissen."
David Hilbert, "Naturerkennen und Logik", 1930.

Mit diesen programmatisch optimistischen Worten beendet David Hilbert seine berühmte Rede vor der Naturforschertagung in Königsberg: Statt einer vielleicht vornehmen aber eben nur scheinbar reflektierten Skepsis sollten wir lieber von der prinzipiellen Lösbarkeit jedes Problems ausgehen, insbesondere im Reiche der Mathematik. Es kann nun wie Ironie der Geschichte erscheinen, dass auf einem kurz zuvor stattfindenden Satellitenworkshop Kurt Gödel seine Resutate zum ersten Mal vor größerem Fachpublikum verkündet: In jedem konsistenten (axiomatisierbaren) formalen System, das ein gewisses Modikum an Arithmetik auszudrücken vermag, gibt es Sätze, die weder beweisbar noch widerlegbar sind -- solche Theorien sind also systematisch und wesentlich unvollständig, sie erlauben gewissermaßen die Formulierung von Fragen, die sie aber selbst nicht entscheiden können.

Man könnte denken, dies trifft Hilbert gleich doppelt: Sein Optimismus scheint auf schwachen Füßen zu stehen, insbesondere sein wichtiges, revolutionäres und überaus erfolgreiches Werkzeug, die axiomatischen Methode, scheint ein für alle Mal in ihre Schranken verwiesen worden zu sein: Jedes handhabbare, widerspruchsfreie und hinreichend starke Axiomensystem ist unvollständig, angefangen bereits bei der Arithmetik der natürlichen Zahlen!

Während die obige Darstellung nicht falsch ist, so ist sie selbst unvollständig: Gödel selbst etwa war gewiss ein Freund des Ignorabimus und daher geneigt, umgekehrt (aus seinem Theorem und der Verneinung der Existenzthese absolut unlösbarer mathematischer Probleme) zu folgern, dass der menschliche Geist von keinem formalen System eingefangen werden kann -- eine vieldiskutierte, vermeintliche philosophische Konsequenz des Theorems, die im Rahmen des Seminars auch gestreift werden wird. Wir werden uns aber zunächst und zumeist um ein gutes Verständnis des Resultates selbst bemühen, das zwar erstmal mathematisch und ein wenig technisch ist, in der mathematischen Logik aber ganz zurecht eine zentrale Stellung einnimmt. Dazu werden wir entweder anhand der originalen Arbeit Gödels (1931) oder einer modernisierten Darstellung (wie der in Rautenberg) sowohl die Grundlagen der Prädikatenlogik erster Stufe (sowie arithmetischer Theorien im Besonderen) auffrischen, als auch einen groben Einblick in die Rekursionstheorie gewinnen, heute sehr vertraute Konzepte wie die Kodierung von Syntax durch Arithmetik (und damit einhergehend der (ziffernweisen) Repräsentierbarkeit) genau beleuchten, sowie schließlich zu formalen Versionen der Selbstbezüglichkeit kommen.

Aus dem oben angedeuteten ersten Unvollständigkeitstheorem folgt, unter gewissen weiteren Bedingungen, ein zweites: Gewisse Aussagen eines Systems, die die Konsistenz desselben 'aussagen', sind genau dann beweisbar, wenn das System inkonsistent ist. Wir werden uns auch dieses Resultat und seinen etwas aufwändigeren Beweis genauer ansehen, nebst eines kleinen Ausflugs in die Beweislogik. Dieses zweite Theorem wird oft als Indiz des Scheiterns für Hilberts Programm angesehen. Dieses Programm sollte die gesamte neue, abstrakte (ideale) Mathematik auf eine sichere Grundlage stellen, indem zumindest die instrumentelle Nützlichkeit der idealen Theorie durch einen finiten Konsistenzbeweis sichergestellt wird -- genau dieses Ziel ist aber unerreichbar.

Die Auswirkungen dieser Resultate auf die Hilbertschule sind vermutlich am größten, und wir sollten darauf einen ausgedehnten Blick werfen, inklusive verschiedener Möglichkeiten, Hilberts Vorhaben zumindest teilweise umzusetzen. Aber nicht nur Finitisten sind betroffen, sondern auch Logizisten (und eventuell auch Intuitionsten) kommen in Erklärungsnot. Insofern sind die Unvollständigkeitstheoreme nicht nur von zentraler Bedeutung für die mathematische Logik -- sondern auch unumgänglich, wenn man sich näher mit der Philosophie der Mathematik beschäftigen will.


Kurt Gödel (1931): "Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I," Monatshefte für Mathematik Physik, 38: 173–198. English translation in Gödel 1986, 144–195.
---- -(1951): "Some Basic Theorems on the Foundations of Mathematics and their Implications" (Gibbs Lecture), in Gödel 1995: 304­–323.
----- (1986): Collected Works I. Publications 1929–1936, S. Feferman et al. (eds.), Oxford: Oxford University Press.
----- (1995): Collected Works III. Unpublished Essays and Lectures, S. Feferman et al. (eds.), Oxford: Oxford University Press.

David Hilbert (1930): "Naturerkennen und Logik". Naturwissenschaften, S. 959–963 (auch veröffentlicht in: Gesammelte Abhandlungen Bd. 3, S. 378), oder URL = <http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN237834022>.

Panu Raatikainen (2018): "Gödel's Incompleteness Theorems", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2018 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <https://plato.stanford.edu/archives/fall2018/entries/goedel-incompleteness/>.

Wolfgang Rautenberg (1996): Einführung in die mathematische Logik, ein Lehrbuch; dritte, überarbeitete Auflage 2008, Wiesbaden: Vieweg+Teubner.

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