Die Pflichtverletzung

Das zentrale Moment der Unrechtshaftung ist die Pflichtverletzung. Die Pflicht ist ein Gebot zu alternativem Verhalten. Sie kann Elemente der Tatbestandmäßigkeit, der Rechtswidrigkeit und der Schuld erfassen. Auf der Tatbestandsebene ist sie angesiedelt, wenn es um die Frage des "Angesprochenseins" geht, die man herkömmlich mit dem Begriff der Garantenstellung umschreibt. Der eigentliche Kernbereich der Pflicht liegt in der Begründung der Rechtswidrigkeit. Für die Schuld bleibt nur etwas übrig, wenn man die Unterscheidung von äußerer und innerer Sorgfalt mitmacht.

Allgemein gesprochen mündet die Begründung einer Pflicht immer in die Abwägung widerstreitender Interessen. Auf der einen Seite steht die Handlungsfreiheit des in Pflicht zu Nehmenden. Sie wird notwendig eingeschränkt, wenn man eine Pflicht begründet. Auf der anderen Seite steht der Rechtsgüterschutz dessen, der durch allzu große Freiheiten anderer bedroht wird. Letztendlich entscheiden wir bei der Pflichtbegründung über die Zumutbarkeit des Handlungs- und Verhaltensverzichts (des Aufwands für alternatives Verhalten) im Hinblick auf den Wert der durch ein Verhalten bedrohten und nicht anderweit zu schützender Rechtsgüter anderer.

Elemente der Pflichtbegründung

Man kann die Elemente der Pflichtbegründung weiter ausdifferenzieren und die Stufen der Garantenstellung, der Vermeidbarkeit der Rechtsgutsverletzung, der Vorhersehbarkeit der Rechtsgutsverletzung und der Zumutbarkeit der Schadensabwehr unterscheiden.

Garantenstellung

Sie ist die erste Ebene in der Feststellung einer Pflichtverletzung, in der es darum geht, wer, bzw. im Rahmen der gutachtlichen Prüfung eines Schadensersatzanspruchs, ob gerade die in Anspruch genommene Person für die Abwendung des Schadenseintritts verantwortlich ist. Steht das "Angesprochensein" in einer Person fest, so hängt ihre Ersatzpflicht nur noch von den Faktoren der Vermeidbarkeit und der Zumutbarkeit ab. Es ist also entscheidend, nach welchen Kriterien sich das "Angesprochensein" im Rechtssinne, die sog. Garantenstellung, bestimmt. Dieser Begriff, der nicht mit der strafrechtlichen Garantenstellung identisch ist, wird in der Literatur und in der Rechtsprechung oft nur im Zusammenhang mit einem Unterlassen gebraucht. Die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen ist jedoch im Zivilrecht nicht fruchtbar, denn es geht immer um Handlungs- und Verhaltenspflichten, nämlich sich so zu verhalten, dass die Rechtsgutsverletzung bzw. im Vertragsrecht die Vertragsverletzung nicht eintritt.

Aus den allgemeinen Hilfs- und Anzeigepflichten, wie sie sich aus den §§ 323c, 138 StGB begründen, erwächst nach der h.M. in der Literatur und der Rechtsprechung keine zivilrechtliche Garantenstellung.

Beispiel: A wird mit seinem Wagen von einem Unbekannten von der Straße abgedrängt und bleibt schwer verletzt im Straßengraben liegen. B kommt an der Unfallstelle vorbei, hilft dem A jedoch nicht. A verlangt von B Schadensersatz und Schmerzensgeld, weil ihm ein Bein amputiert werden musste, das gerettet worden wäre, wenn B sofort einen Rettungswagen verständigt hätte.

Die Haftung wird von der h.M. mit der Begründung abgelehnt, dass die §§ 323c, 138 StGB nicht dem Schutz von Individualrechtsgütern dienten (hierfür sind die einschlägigen Strafvorschriften, z.B. § 223 StGB zuständig), sondern für jedermann eine Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufstellten. Dies zeige sich auch daran, dass die Bestrafung nach § 323c, 138 StGB unabhängig von den Folgen der Unterlassung erfolge. Die Gegenmeinung argumentiert, dass die §§ 323c, 138 StGB zwar in erster Linie das öffentliche Interesse, daneben aber auch die individuellen Rechtsgüter der betroffenen Personen schützten. Die gleiche Kontroverse gibt es bei der Frage, ob §§ 323c, 138 StGB Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB sind.

Unter besonderen Umständen, in denen eine sittliche Pflicht zum Handeln besteht (z. B. Lebens- und Leibesgefahr) und Schädigungsvorsatz nachweisbar ist, kommt eine Haftung aus § 826 BGB in Betracht.

Wenn es eine allgemeine deliktsrechtliche Pflicht, fremde Personen oder Sachen vor Schaden zu bewahren, nicht gibt, so fragt sich, was die Kriterien der Garantenstellung sind, in der solche Pflichten begründet sind. Die Kriterien bestimmen sich prinzipiell parallel zum Strafrecht. Danach ist zu unterscheiden zwischen Obhutspflichten, bei denen bestimmte Rechtsgüter vor einer unbestimmten Vielzahl von Gefahren zu schützen sind, und den Sicherungs- oder Gefahrabwendungspflichten, bei denen es um den Schutz einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsgütern vor einer bestimmten Gefahr geht.

Obhutspflichten

Obhutspflichten leiten sich aus der natürlichen Verbundenheit zwischen zwei Personen (zum Beispiel Ehegatten, nahen Angehörigen), aus besonderen Gemeinschaftsbeziehungen (Gefahren- und Betriebsgemeinschaften, Kameradschaftpflicht aus § 12 Soldatengesetz), aus gesetzlicher Anordnung, sowie aus einer besonderen Berufs- oder Amtsposition ab (z.B. Hilfspflicht der Polizei, Rettungspflicht des Bademeisters).

Außerdem kann man Obhutspflichten natürlich vertraglich übernehmen (Verwahrungsvertrag, Bergführer). Dann tritt neben die aus dem Vertrag resultierende Haftung noch die deliktische. Das Nebeneinander kann bedeutsam werden, wenn der Vertrag unwirksam ist. Denn hiervon wird die deliktische Haftung nicht berührt. Sie hängt nur von der tatsächlichen Übernahme der Obhut ab und beruht darauf, dass der andere Teil sich im berechtigten Vertrauen auf die Zusage in die Obhut des Vertragspartners begeben hat.

Beispiel: Bergführer B verpflichtet sich A gegenüber zur Durchführung einer Bergtour. Neben die vertraglichen Pflichten des B tritt eine deliktische Obhutspflicht, die vom Bestand des Vertrages unabhängig ist und nur davon abhängt, dass A sich berechtigterweise im Vertrauen auf B's Zusage in dessen Obhut begibt. Verletzt sich A auf Grund einer Obhutspflichtverletzung des B, so kann A vertragliche und deliktische Ansprüche geltend machen. Fallen die vertraglichen Ansprüche aus irgendeinem Grunde weg, bleiben die deliktischen unberührt.

Sicherungspflichten, insbesondere die Verkehrssicherungspflichten

Das Gesetz selbst stellt einige Sicherungspflichten explizit auf, so die Haftung aus §§ 831 Abs. 1, 832 Abs. 1 BGB, die Nutztierhaftung aus § 833 Satz 1 und 2 BGB sowie die Haftung bei Gebäudeeinsturz (§§ 836-838 BGB).

In allen Fällen geht es um die Beherrschung einer Gefahrenquelle und den Schutz fremder Rechtsgüter vor Beeinträchtigungen durch die Gefahr. Man kann diesen Gedanken der Gefahrbeherrschung verallgemeinern zu der sog. allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Danach muss jeder, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, diejenigen ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der daraus Dritten drohenden Gefahren für die in § 823 Abs. 1 bezeichneten Lebensgüter und Rechte notwendig sind.

Aus diesem Grundsatz haben sich im Laufe der Zeit durch Rechtsprechung und Literatur zahlreiche Einzelpflichten herausgebildet, die kaum noch zu überschauen, geschweige denn für den Studenten in ihrem Umfang zu lernen sind. Dies wäre auch wenig effektiv, denn das Leben schafft ständig neue Situationen, für die es neue Verkehrssicherungspflichten zu entwickeln gilt. Das Handwerkszeug hierzu ist ein grobes Gerüst der wichtigsten Anknüpfungspunkte für Verkehrssicherungspflichten, sowie ein Zumutbarkeitsmaßstab für die Entscheidung des Einzelfalles, den wir weiter unten unter der Überschrift Zumutbarkeit diskutieren wollen.

Als hauptsächliche Anknüpfungspunkte für Verkehrssicherungspflichten haben sich herausgebildet:

Die Verkehrseröffnung. Wer für andere in Gebäuden, auf Grundstücken oder Straßen einen Verkehr eröffnet, zulässt oder andauern lässt, ist für die Sicherheit des Verkehrs verantwortlich. Dazu gehört insbesondere, dafür zu sorgen, dass die Verkehrsteilnehmer vor nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahren geschützt oder gewarnt werden.

Beispiele: Der Eigentümer eines Kaufhauses, der Gastwirt, die Gemeinde müssen dafür sorgen, dass niemand in ihren Gebäuden in seinen Rechtsgütern verletzt wird.

Ähnliches gilt auch für die Einwirkung auf einen bestehenden Verkehr, die auch schon in der bloßen Teilnahme liegen kann. Hieraus wurde insbesondere für die Teilnahme am Straßenverkehr ein ganzer Katalog von Verkehrssicherungspflichten entwickelt (vgl. nur die Inhaltsübersicht in MünchKomm/Wagner, § 823 Vierter Teil: Konkretisierte deliktische Sorgfaltspflichten).

Eine weitere wichtige Gruppe ist das Inverkehrbringen von Sachen, aus der sich mittlerweile die Produzentenhaftung herausgebildet hat. Wir werden auf die Produzentenhaftung und ihr Verhältnis zur Produkthaftung in einem eigenen Abschnitt eingehen.

Auch die sonstige Schaffung oder Beherrschung von Gefahrenquellen kann, neben den schon gesetzlich bezeichneten Fällen, zur Begründung einer Verkehrssicherungspflicht führen.

So z.B. das Hantieren mit Schusswaffen oder Feuerwerkskörpern; aber auch die Einrichtung und Unterhaltung einer Baustelle: Der Bauherr ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass niemand - insbesondere nicht Kinder - die Baustelle betreten und sich an herumliegenden scharfkantigen Gegenständen verletzen.

Die Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf Dritte (z.B. auf den Arbeitnehmer oder ein Unternehmen, Übertragung der Streupflicht der Gemeinde per Satzung auf die Anlieger, vom Hauseigentümer auf den Mieter etc.) ist möglich, doch kann sich der Erstgarant nicht vollständig von seiner Pflicht befreien. Vielmehr verbleibt bei ihm zumindest eine Pflicht zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung. Auch dieser Rechtsgedanke hat eine Ausprägung im Gesetz gefunden, nämlich im § 831 Abs. 1 BGB.

Garantenpflicht kraft Übernahme vom Erstgaranten

Eine Garantenstellung kann sich auch daraus ergeben, dass eine Person sich einer anderen (sog. Erstgarant) gegenüber vertraglich verpflichtet, deren Garantenpflicht zu übernehmen. Fraglich ist, an welche Voraussetzungen das Entstehen der Garantenpflicht des Übernehmers gebunden ist.

Bei den gesetzlichen Tatbeständen der Übernahme einer Garantenpflicht ist dies noch relativ einfach zu beantworten: §§ 831 Abs. 2, 832 Abs. 2 und 834 BGB setzen voraus, dass die jeweilige Aufsichts- oder Gefahrenabwendungspflicht "durch Vertrag" übernommen wird, während § 838 BGB einen solchen nicht verlangt. Nach der überwiegenden Meinung, die sich auf den Wortlaut beruft, entfällt die Garantenstellung und damit die Haftung aus §§ 831 Abs. 2, 832 Abs. 2 und 834, wenn der Übernahmevertrag unwirksam ist und die Übernahme der Aufsicht nur tatsächlich erfolgte.

Beispiel: Die 17-jährige S arbeitet ohne Zustimmung ihrer Eltern bei den Eheleuten E als Babysitterin, während diese im Theater sind. Damit übernimmt S eine schon bestehende Aufsichtspflicht der Eltern E. Fügt das Kind auf Grund einer Unaufmerksamkeit der S einem Dritten einen Schaden zu, so haftet S nach der h.M. nicht. Nach der gleich noch vorzustellenden Minderansicht haftet sie jedoch aus § 832 Abs. 2 trotz Unwirksamkeit des Dienstvertrages, wobei ihre Minderjährigkeit nur über § 828 Abs. 2 berücksichtigt wird.

Bereits für diese Tatbestände und erst recht bei einer Garantenpflicht, deren Übernahme nicht unter eine der genannten Vorschriften fällt, erklärt eine Gegenmeinung die Wirksamkeit des Vertrages für unbeachtlich und macht die deliktische Haftung allein von der tatsächlichen Übernahme vom Erstgaranten abhängig, wenn der Erstgarant aus Erklärungen oder aus dem Verhalten des Übernehmers berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, dass dieser an seiner Stelle die Erfüllung der Verkehrssicherungsobliegenheit übernehmen würde. Es geht bei der Übernahme von Garantenpflichten immer um die Übernahme deliktischer Pflichten, die dem Erstgaranten bereits obliegen. Nicht etwa sind die Vertragsverletzungen des Übernehmers gegenüber dem Erstgaranten, sondern nur die Verletzung der übernommenen, dem Dritten gegenüber obliegenden Pflicht, sind die Grundlage für den deliktischen Anspruch des geschädigten Dritten.

Dies verdeutlicht das sog. "Gasbadeofenurteil" des Reichsgerichts von 1929 (RGZ 127, 14).

Ein Hausbesitzer hatte im Badezimmer Gasgeruch festgestellt und einen Handwerker mit der Untersuchung des Gasbadeofens beauftragt. Dieser übersah bei der Reparatur durch Nachlässigkeit eine verschlossene Abzugsklappe. Das Dienstmädchen nahm am darauf folgenden Tag ein Bad und erstickte dabei. Die Mutter der Verstorbenen macht Ansprüche aus § 844 BGB geltend.

Hier kommt es auf eine deliktische Garantenpflicht des Handwerkers gegenüber dem Dienstmädchen an. Denn nur dann kann die Mutter aus § 844 BGB Ansprüche geltend machen. Im Bereich der Vertragshaftung steht im Falle der Tötung den Angehörigen kein eigener Anspruch, sondern nur der geerbte Schadensersatzanspruch des Geschädigten zu. Dieser aber dürfte mangels eines Schadens (des Gestorbenen wohlgemerkt) leer laufen. Deshalb fällt auch in diesem Falle ein Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte aus, obwohl sich das Dienstmädchen zweifellos im Schutzbereich des Werkvertrages befand. Das Reichsgericht führte hierzu aus,

"dass, wer fahrlässig eine gegenüber einem anderen übernommene Vertragspflicht nicht erfüllt, deren Verletzung geeignet ist, das Leben eines Dritten zu gefährden, sich einer unerlaubten Handlung dem Dritten gegenüber schuldig macht".

Dies ist in der Begründung falsch, weil aus der Verletzung einer Vertragspflicht auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch gefolgert wird. Der Anspruch der Mutter besteht nur dann, wenn der Handwerker dem Hausbesitzer gegenüber dessen deliktische Sicherungspflicht gegenüber dem Dienstmädchen übernommen hat. Dies ist nach den heutigen Grundsätzen über die Verkehrssicherungspflicht zu bejahen. Der Hausbesitzer hatte gegenüber allen Hausbewohnern eine Verkehrssicherungspflicht bezüglich häuslicher Gefahrenquellen. Bezüglich des Gasbadeofens hatte er diese, als er den Gasgeruch bemerkte, mangels Fachkundigkeit an den Handwerker übertragen. Die so übernommene Verkehrssicherungspflicht hat der Handwerker verletzt. Somit war das Urteil des Reichsgerichts im Ergebnis richtig.

Der Haftungsgrund für die Haftung des Übernehmers liegt, wie Ulmer in JZ 1969, 174 zutreffend formuliert,

"in dem Umstand, dass der Rechtsverkehr es dem Erstgaranten freistellt, die Erfüllung der Obliegenheiten einem anderen zu übertragen und ihn in diesem Fall zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung verpflichtet. Dieser Entlastungsmöglichkeit des Erstgaranten muss aber die Ausdehnung der deliktsrechtlichen Handlungspflichten auf denjenigen entsprechen, auf den sich der Erstgarant berechtigterweise verlassen darf, wenn nicht eine Lücke im deliktischen Rechtsschutz entstehen soll. Entscheidende Voraussetzung für die Übernehmerhaftung ist daher der Umstand, dass der Übernehmer die objektiv berechtigte Erwartung des Erstgaranten auf seine Tätigkeit begründet".

Umstritten ist jedoch, ob es die Garantenstellung kraft Übernahme vom Erstgaranten für alle und, wenn nein, für welche Garantenpflichtigen es sie gibt.

Unbestritten ist die Übernahmemöglichkeit lediglich bei den (Verkehrs-)Sicherungspflichten, auch neben den gesetzlichen Übernahmetatbeständen (§§ 832 Abs. 2, 831 Abs. 2, 834, 838). Überträgt beispielsweise ein Straßenanlieger seine Reinigungs- und Streupflichten auf einen Unternehmer, so ist dieser bei Vernachlässigung der Pflicht dem hierdurch Geschädigten unmittelbar deliktisch verantwortlich.

Ob dies uneingeschränkt auch für die Übernahme von Obhutspflichten gilt, ist fraglich, jedoch zu bejahen. Denn auch hier erweckt der Übernehmer beim Erstgaranten die berechtigte Erwartung auf seine Tätigkeit, die den Erstgaranten von seiner deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit freistellen kann und deswegen zur Vermeidung von Haftungslücken zur Garantenpflicht des Übernehmers führt. So wird auch niemand bezweifeln, dass der Babysitter dem Kind gegenüber deliktisch verantwortlich ist, wenn es auf Grund Vernachlässigung der Aufsicht verletzt wird (der Babysitter übernimmt also die Sicherungspflicht per legem § 832 Abs. 2 und die Obhutspflicht kraft Übernahme).

Wir nähern uns nun allmählich einem Problem innerhalb der Frage der Garantenpflicht, das näher zu beleuchten sich lohnt, weil man hier die Grundprinzipien des Haftungsrechts zur Argumentation heranziehen und gut veranschaulichen kann.

Bis jetzt ging es uns bei der Betrachtung der Übernahme einer fremden Garantenpflicht immer nur um die Übernahme durch einen selbständigen "Unternehmer", wobei hierunter jeder zu verstehen ist, der seinen Erwerb damit betreibt, gegen Entgelt fremde Garantenpflichten zu übernehmen. Auch die babysittende Schülerin gehört hierher. Auch das Modell der §§ 832 Abs. 2, 831 Abs. 2, 834, 838 geht von dieser Form der Pflichtenübernahme aus.

Nun kommt es aber sehr oft vor, dass auch abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit für den Geschäftsherrn, Dritte, zu denen möglicherweise noch der Arbeitgeber, jedenfalls aber nicht der schädigende Arbeitnehmer vertragliche Beziehungen hat, in ihren Rechtsgütern verletzen. Es stellt sich die Frage der sog. Außenhaftung, d.h. ob der Arbeitnehmer dem Geschädigten deliktisch haftet, oder ob die Haftung ausschließlich auf den Geschäftsherrn zu kanalisieren ist.

Die Außenhaftung des Arbeitnehmers

Hierzu sollte man sich zunächst überlegen, dass das Arbeitsverhältnis ein Rechtsverhältnis besonderer Art ist. Es ist beispielsweise geprägt von einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis, aber auch von einer Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer wird nicht im eigenen, sondern im fremden Interesse tätig (das Gelderwerbsinteresse des Arbeitnehmers ist nur der Grund, warum er überhaupt tätig wird, seine Tätigkeit selbst aber geschieht im Interesse des Arbeitgebers). Nun gibt es Tätigkeiten, bei denen erfahrungsgemäß auch einem sorgfältigen Arbeitnehmer Fehler unterlaufen können, die zwar vermeidbar sind, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit gerechnet werden muss. Es wäre nicht gerecht, müsste der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber oder einem anderen Geschädigten den Schaden aus eigener Tasche ersetzen. Dem Arbeitgeber wäre nämlich, hätte er selbst Hand angelegt, früher oder später bei solcher so genannter "gefahrgeneigter Arbeit" ebenfalls ein Missgeschick passiert. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung schon früh ein abgestuftes Haftungsschema entwickelt, wonach der Arbeitnehmer bei Vorliegen einer gefahrgeneigten Arbeit dem Arbeitgeber je nach Fahrlässigkeitsgrad nicht oder nur teilweise haftet. Außerdem hat der Arbeitnehmer unter den gleichen Voraussetzungen einen Freistellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber, wenn er einem Dritten gegenüber schadensersatzpflichtig wird. In der neueren Entwicklung hat die Rechtsprechung die besondere Voraussetzung der gefahrgeneigten Arbeit aufgegeben. Das besondere Haftungsschema gilt für alle Arbeitnehmer, die Schäden bei der Arbeit anrichten.

Es wäre nun denkbar, diesen Gedanken auch auf die Außenhaftung von Arbeitnehmern zu übertragen, d.h. die Eigenhaftung des Arbeitnehmers entfallen zu lassen und die Haftung auf den Arbeitgeber als Organisationsträger zu kanalisieren. Die rechtliche Konstruktion wäre, nicht den Arbeitnehmer, sondern nur den Arbeitgeber als Träger der Garantenpflicht und damit als schadensersatzpflichtig anzusehen. Für einen solchen Wegfall der Außenhaftung des Arbeitnehmers spricht vor allem, dass der Arbeitnehmer nicht im eigenen Interesse tätig wird, trotzdem aber möglicherweise ruinösen Schadensersatzforderungen ausgesetzt werden kann, obwohl hauptsächlich dem Arbeitgeber die Früchte der Arbeit zugeflossen sind. Der erwähnte Freistellungsanspruch hilft nicht immer. Der Arbeitgeber kann insolvent werden.

Für die Rechtsprechung kommt eine solche Lösung jedoch erklärtermaßen nicht in Betracht, wie der folgende, auch wegen der Darstellung der einzelnen Auslegungsmethoden lesenswerte, Entscheidungsauszug zeigt:

Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 19.09.1989, Az: VI ZR 349/88

Leitsatz

1. Zu Lasten außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehender Dritter ist für eine Beschränkung der Haftung des Arbeitnehmers nach Maßgabe der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur gefahrgeneigten Arbeit kein Raum.

2. Zur Haftung des Arbeitnehmers für die Beschädigung eines geleasten Betriebsmittels bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers.

Fundstelle

BGHZ 108, 305-319 (LT)

JA 1990, 123-126 (ST)

JuS 1990, 508-509, Reuter, Dieter (Entscheidungsbesprechung)

Tatbestand

Die klagende GmbH, eine Autohandlung, hat im Jahre 1983 dem damaligen Arbeitgeber des Beklagten, der R.-AG, im Wege des Leasings einen Pkw zur Nutzung überlassen. Die R.-AG stellte das Fahrzeug dem Beklagten zur Verfügung, der als Verkaufsrepräsentant im Angestelltenverhältnis für sie tätig war. Ihm war vertraglich die Benutzung des Wagens auch für private Zwecke, für Urlaubsfahrten nach Genehmigung des Bereichsleiters, gestattet.

In den frühen Morgenstunden des 26. Oktober 1985 verlor der Beklagte auf einer Dienstfahrt, möglicherweise infolge Reifglätte, die Kontrolle über den Wagen und geriet gegen eine Leitplanke. Der Klägerin entstand ein Schaden von 7.893,50 DM. Die R.-AG ist zahlungsunfähig.

Das Landgericht hat die gegen den Beklagten gerichtete Schadensersatzklage der Klägerin mit der Begründung abgewiesen, dass der Beklagte den Unfall nur leicht fahrlässig verursacht habe und deshalb nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit auch im Verhältnis zu der Klägerin von der Haftung frei sei. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit seiner - zugelassenen - Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat dargelegt, dass der Beklagte das Kraftfahrzeug der Klägerin fahrlässig beschädigt habe, und sich auf den Standpunkt gestellt, dass er infolgedessen zum Schadensersatz verpflichtet sei. Für eine Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit sei im Verhältnis zu der Klägerin kein Raum.

II. Das Berufungsurteil hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

1. Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs an einen anderen im Wege des Leasings ändert, auch wenn der Leasingnehmer damit alleiniger Halter des Fahrzeugs wird, nichts daran, dass der Leasinggeber als Eigentümer bei Beschädigung des Fahrzeugs den Schädiger auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann (vgl. etwa Senatsurteil BGHZ 87, 133, 138). Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagte i.S. des § 823 Abs. 1 BGB das Eigentum der Klägerin an dem Kraftfahrzeug fahrlässig verletzt habe, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die Fahrlässigkeit des Beklagten ergibt sich, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei dargelegt hat, nach den Grundsätzen des sog. Anscheinsbeweises. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass einem Kraftfahrer, der mit dem von ihm geführten Kraftfahrzeug von der Fahrbahn abkommt, ein bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vermeidbarer Fahrfehler zur Last fällt (vgl. etwa Senatsurteil vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84 - NJW-RR 1986, 383, 384 m.w.N.). Soweit in Betracht kommt, dass der Beklagte die Kontrolle über das Fahrzeug infolge Straßenglätte verloren hat, könnte dies den Anscheinsbeweis nur entkräften, wenn die Straßenglätte unvorhersehbar gewesen wäre (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 1971 - VI ZR 17/69 - VersR 1971, 842, 843 m.w.N.). Das war jedoch angesichts der auf die Gefahr von Glätte hinweisenden Beschilderung vor der Unfallstelle in Verbindung mit der Tages- und Jahreszeit, zu der sich der Unfall ereignet hat, nicht der Fall. In dieser Hinsicht wird das Berufungsurteil im Übrigen auch von der Revision nicht in Frage gestellt.

2. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann dahinstehen, ob und ggfls. inwieweit der Beklagte nach der Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit von einer Haftung gegenüber der R.-AG als seiner Arbeitgeberin frei wäre (s. näher zuletzt BAG Urteil vom 24. November 1987 - 8 AZR 524/82 - VersR 1988, 946, 947f.) bzw. ob und ggfls. inwieweit er bezüglich des hier geltend gemachten Schadensersatzanspruches der Klägerin einen Freistellungsanspruch gegen seine Arbeitgeberin hat, wie ihn die Rechtsprechung bei Schädigung eines Dritten unter den nämlichen Voraussetzungen (gefahrgeneigte Arbeit) zugesteht (s. schon BAGE 5, 1, 8). Der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahre 1959 ausgesprochen, dass diese Rechtsprechung Haftpflichtansprüche außerhalb des Betriebsorganismusses stehender Dritter nicht beschränke und die geltende Rechtsordnung einen allgemeinen Grundsatz der Haftungsbeschränkung bei gefahrgeneigter Arbeit weder im allgemeinen Vertrags- noch im Deliktsrecht kenne (BGHZ 30, 40, 49). Hieran ist fest zu halten.

a) Zum einen lässt das Deliktsrecht - wie hier im Hinblick darauf, dass zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen bestehen, zunächst erörtert sei - für eine Berücksichtigung der Grundsätze zur Haftungsbeschränkung bei gefahrgeneigter Arbeit im Verhältnis zu der Klägerin keinen Raum.

Freilich kann die Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit, solange die Außenhaftung des Arbeitnehmers unberührt bleibt, den von ihr angestrebten Schutz des Arbeitnehmers nur begrenzt erreichen. Das gilt unbeschadet dessen, dass der Arbeitnehmer, der bei gefahrgeneigter Arbeit einen Dritten schädigt, von seinem Arbeitgeber ggfls. Haftungsfreistellung verlangen kann. Die Schwäche dieser Lösung offenbart sich, wenn der Arbeitgeber, wie vorliegend die R.-AG, zahlungsunfähig wird und damit der Freistellungsanspruch nicht realisierbar ist. Für diese Fälle bleibt der Arbeitnehmer einem u.U. existenzbedrohenden Haftungsrisiko ausgesetzt. Der Senat sieht indes keine Möglichkeit, hier auf dem Boden des geltenden Rechts Abhilfe zu schaffen.

aa) Wortlaut und Systematik des positiven Deliktsrechts bieten für eine haftungsrechtliche Sonderbehandlung von Schäden durch Arbeitnehmer keinen Ansatz. Dies ist umso bemerkenswerter, als der Gedanke, Arbeitnehmer haftungsrechtlich zu privilegieren, dem bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgefundenen Recht nicht vollkommen fremd war. So sah § 899 ALR vor, dass der "gemeine Handarbeiter" sowohl gegenüber dem Dingenden "als auch gegen einen Dritten" nur "grobes oder mäßiges" Verschulden zu vertreten habe, bei culpa levissima also von der Haftung frei sei. Derartige Differenzierungen sind dem Haftungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs fremd. Es geht davon aus, dass jeder Schädiger in gleicher Weise unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen zum Schadensausgleich verpflichtet ist.

bb) Das Risiko, dass der Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber wegen dessen Insolvenz nicht realisierbar ist, geht zulasten des Arbeitnehmers als des Inhabers dieses Freistellungsanspruchs. Insofern liegt es ähnlich wie etwa bei dem Anspruch auf Entlohnung. Auch hier geht die Insolvenz des Arbeitgebers im Grundsatz zu Lasten des Arbeitnehmers, wie sich in der Vorschrift des § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO sowie darin bestätigt, dass der Gesetzgeber zur Abmilderung der mit dem Lohnausfall verbundenen sozialen Unzuträglichkeiten das Konkursausfallgeld (§§ 141aff AFG) eingeführt hat. Der Leasingvertrag zwischen der Klägerin und der R.-AG muss in dem hier erörterten Zusammenhange außer Betracht bleiben, da es allein um das Risiko der Nicht-Realisierbarkeit des Freistellungsanspruchs geht. Wäre er realisierbar, wäre die Abwicklung des Schadens auf diesem Wege vorgezeichnet gewesen und hätten sich Unzuträglichkeiten nicht ergeben.

cc) Die Rechtsprechung zur eingeschränkten Haftung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit beruht nicht auf übergreifenden, sondern auf spezifisch arbeitsvertraglichen Erwägungen. Die eigentliche Begründung liegt in den "das Arbeitsverhältnis beherrschenden Treue- und Fürsorgepflichtgedanken, mit denen es sich nicht vertrüge, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit Schäden und Ersatzansprüchen belasten würde, die sich aus der besonderen Gefahr und Eigenart der ihm übertragenen Arbeit ergeben" (BAG aaO). Diese Begründung versagt im Verhältnis zu einem außerhalb des Arbeitsverhältnisses stehenden Dritten. Ob und ggfls. unter welchen näheren Voraussetzungen hierüber bei enger rechtlicher oder wirtschaftlicher Verflechtung des Dritten mit dem Arbeitgeber, etwa bei künstlicher Betriebsaufspaltung aus steuerlichen Gründen, hinweggegangen werden könnte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da für eine derartige Verflechtung zwischen der Klägerin und der R.-AG keine Anhaltspunkte vorliegen. Die Ergänzung der Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit dahin, dass der Arbeitnehmer bei Schädigung eines Dritten von seinem Arbeitgeber ggfls. Freistellung verlangen kann, geht im Übrigen ihrerseits davon aus, dass die Haftung des Arbeitnehmers nach außen unberührt bleibt und keinen Einschränkungen unterliegt. Dies deckt sich mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz, dass der Schuldner mit Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zu einem Dritten - hier: im Verhältnis zu dem Geschädigten mit Haftungserleichterungen als Ausfluss des Arbeitsvertrags mit seinem Arbeitgeber - nicht gehört wird.

dd) Der Senat hält sich auch nicht für befugt, die deliktische Außenhaftung des Arbeitnehmers im Wege der Rechtsfortbildung zu beschränken. Der richterlichen Rechtsfortbildung sind durch den rechtsstaatlichen Grundsatz der Rechts- und Gesetzesbindung in seiner den Senat bindenden Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht Schranken gesetzt (vgl. BVerfGE 65, 182, 190f., 194f. und 69, 315, 371f. jew. m.w.N.). Danach setzt sie voraus, dass die Rechtsordnung, wie sie sich unter Einschluss des Rechtsprechungsrechts und allgemeiner Rechtsüberzeugungen darbietet, Wertentscheidungen, sei es auch nur in unvollkommener Form, für eine Lösung in einem bestimmten Sinne ergibt. Das ist in dem hier in Frage stehenden Zusammenhange nicht der Fall: Soweit eine uneingeschränkte Außenhaftung des Arbeitnehmers das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG berührt, weist doch diese Verfassungsregelung, jedenfalls für sich allein, nicht den Weg zu einer bestimmten Lösung. Allgemein richtet sich das Sozialstaatsgebot, eben weil in der Regel verschiedene Möglichkeiten zu seiner Verwirklichung in Betracht kommen, in erster Linie an den Gesetzgeber. Dieser hätte bei einer gesetzlichen Regelung des hier in Frage stehenden Problems außer den Interessen des Arbeitnehmers und der Geschädigten auch die mittelbaren Auswirkungen auf Dritte zur berücksichtigen. Handelt es sich beispielsweise bei dem Geschädigten seinerseits um einen Arbeitgeber, könnte eine Begrenzung seiner Ansprüche im Einzelfall seine Liquidität beeinträchtigen und sich auf diesem Wege auch zu Lasten der bei ihm tätigen Arbeitnehmer auswirken. Daher kommt - für den Gesetzgeber - etwa auch eine Pflichtversicherungslösung oder eine Erstreckung der Regelungen über das Konkursausfallgeld auf den Freistellungsanspruch in Betracht, wie sie auf dem 56. Deutschen Juristentag erörtert, freilich mehrheitlich nicht befürwortet, worden ist (s. Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages 1986, Bd. II S. N 210). Weiter kann auch Art. 34 GG mit seiner Enthaftung der Beamten gegenüber dem geschädigten Dritten im hoheitlichen Bereich keine Leitbildfunktion für die Arbeitnehmeraußenhaftung beigemessen werden. Diese Verfassungsbestimmung beruht auf dem Gedanken einer besonderen Einstandspflicht des Staates für in seinem Verantwortungsbereich geschehenes Unrecht und lässt sich deshalb für unerlaubte Handlungen im nicht-öffentlichen Bereich nicht nutzbar machen. Soweit durch § 637 RVO die Haftung unter Betriebsangehörigen beschränkt worden ist, hängt dies mit der besonderen sozialversicherungsrechtlichen Absicherung des Verletzten bei Arbeitsunfällen zusammen, so dass sich auch hieraus nichts Verallgemeinerungsfähiges für eine Beschränkung der Außenhaftung des Arbeitnehmers ergibt; demgemäß betrifft § 637 RVO nur Personenschäden, während es vorliegend um einen Sachschaden geht. Auch die Versuche, unter Rückgriff auf dem Haftpflichtversicherungsrecht entlehnte Prinzipien und den Gedanken des Betriebs als Haftungseinheit einerseits und des Betriebsrisikos andererseits eine Einstandspflicht des Arbeitgebers zu begründen (vgl. etwa Lorenz SAE 1971, 202, 204f. sowie Drewitz, Der Grundsatz: Die Versicherung folgt der Haftung, Diss. Mannheim 1977, S. 198f., 203ff.), vermögen nach Auffassung des Senats die persönliche Außenhaftung des Arbeitnehmers, der einen deliktsrechtlichen Tatbestand verletzt hat, de lege lata nicht in Frage zu stellen.

Angesichts des Fehlens anderweitiger geeigneter Anknüpfungsgesichtspunkte käme eine Rechtsfortbildung in dem von der Revision verfolgten Sinne allenfalls in Betracht, wenn sich in Ausweitung der Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit und unter Lösung von ihrer arbeitsvertraglichen Begründung eine gefestigte Rechtsüberzeugung dahin entwickelt hätte, dass der Arbeitnehmer allgemein oder doch im Bereich der gefahrgeneigten Arbeit nicht oder nur eingeschränkt, etwa nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, hafte. Eine allgemeine Rechtsüberzeugung dieser Art besteht jedoch offensichtlich nicht. Stimmen, die schon auf dem Boden des geltenden Rechts einen gänzlichen Ausschluss der Außenhaftung des Arbeitnehmers vertreten (s. etwa Drewitz aaO S. 203ff.; Eberlein BB 1989, 621, 624f.; Lorenz ZfB 1975, 491, 497ff.; 499; vgl. auch Baumert, Festschrift für Wengler, Bd. II S. 129, 147), stehen solche gegenüber, die de lege lata eine uneingeschränkte Außenhaftung des Arbeitnehmers, und zwar auch im Bereich der gefahrgeneigten Arbeit, für unabweisbar halten (s. z.B. Buchner RdA 1972, 153, 170; Denck BB 1989, 1192, 1193; Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 8. Aufl., S. 709; Gerhardt VersR 1971, 381, 386; Heinze NZA 1986, 545, 549; Hübner, Schadenszurechnung nach Risikosphären, Diss. Hamburg 1972, S. 136; Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Nr. 3210 S. 3; Otto, Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages 1986, Bd. I S. E 72, 74; Reinhardt, Die dogmatische Begründung der Haftungsbeschränkung des Arbeitnehmers, S. 184f.; Riemann, Der personale Geltungsbereich der Haftung für Verrichtungsgehilfen, Diss. Köln, S. 198f.; Staudinger/Schäfer BGB 12. Aufl. Vorbem. zu §§ 823ff. Rdn. 52; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 6. Aufl., S. 267). Andere halten eine Anpassung der Außen- an die Binnenhaftung des Arbeitnehmers für erwägens- und erstrebenswert, sehen jedoch, dass die dogmatische Begründung problematisch ist (vgl. etwa Dersch RdA 1951, 78, 80 ("bei aller Anerkennung der Zweifelhaftigkeit"); Hanau Anm. zu BAG AP § 611 BGB Nr. 53 ("zweifelhaft"); Mohr, Die Kanalisierung der Haftung, S. 54 ("nahe liegend"); Müller-Erzbach, AcP 106, 205, 388f. ("rechtspolitisch begründet"); Wilburg, Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages 1960, Bd. II S. C 15f. Ä"zu erwägen"Ü). Däubler sieht bei Uneinbringlichkeit des Freistellungsanspruchs in dem Zugriff auf den Arbeitnehmer "immanente Grenzen" überschritten und nimmt deshalb Rechtsmissbrauch an, fügt jedoch hinzu, dass man sich hierbei nicht auf "gesichertem Terrain" bewege (Däubler NJW 1986, 867, 872). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat die Diskussion über eine Beschränkung (auch) der Außenhaftung des Arbeitnehmers bisher keinen Niederschlag gefunden. Ebenso wie das Bundesarbeitsgericht (aaO) geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass die Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Dritten, und zwar auch im Bereich der gefahrgeneigten Arbeit, keinen Beschränkungen unterliegt (BGHZ 30, 40, 49; 41, 203, 204f.; 50, 250, 257; Senatsurteile vom 14. November 1978 - VI ZR 133/77 - VersR 1979, 278, 279, insoweit in BGHZ 73, 1 nicht mit abgedruckt, und vom 18. März 1986 - VI ZR 213/84 - NJW 1986, 1813, 1814). Angesichts dieses Meinungsbildes kann von einer gefestigten Rechtsüberzeugung, an die eine Rechtsfortbildung anknüpfen könnte, keine Rede sein. Dass sich eine Rechtsüberzeugung dieser Art nicht herausgebildet hat, liegt auch darin begründet, dass sich gegen eine generelle Beschränkung der Außenhaftung des Arbeitnehmers ernst zu nehmende Einwände ergeben. Es entstünde ein Sonderrecht für Arbeitnehmer in dem durch vertraglichen Verbindungen gerade nicht geprägten Bereich der Pflichtenbeziehungen. Aus der Sicht des Geschädigten würde es von Zufälligkeiten (Arbeitnehmereigenschaft des Schädigers, gefahrgeneigte Arbeit, Verschuldensgrad) abhängen, ob er von dem Inanspruchgenommenen uneingeschränkt oder nur unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz erlangen kann. Entscheidungen des Arbeitgebers wie die, in welcher Weise er seinen Betrieb organisiert und seine Beschäftigten einsetzt, würden sich ggfls. zulasten Dritter auswirken, die diese Entscheidungen nicht zu überblicken vermögen. Auch müssten handhabbare Kriterien zur Abgrenzung des privilegierten Personenkreises der Arbeitnehmer gefunden werden. Weiter würde sich etwa die Frage stellen, warum eine solche Haftungsprivilegierung nicht auch bestimmten Selbständigen zugute kommen sollte, die sich in einem weiteren Sinne in abhängiger Stellung von ihren Auftraggebern befinden. Auch diese Einwände lassen erkennen, dass eine generelle Einschränkung der deliktischen Außenhaftung des Arbeitnehmers die Grenzen der Rechtsfortbildung, wie sie das Bundesverfassungsgericht abgesteckt hat, überschreiten würde.

ee) Eine Beschränkung der Außenhaftung des Arbeitnehmers nur für den Fall, dass sein Arbeitgeber vermögenslos ist und deshalb der Freistellungsanspruch versagt, scheidet gleichfalls aus. Dass der Arbeitnehmer bei gleichem Schadenshergang haftet, wenn sein Arbeitgeber liquide, aber nicht haftet, wenn er illiquide ist, wäre dogmatisch vollends unbegründbar. Wie Baumert (aaO S. 143) insoweit zu Recht bemerkt, haftet der Arbeitnehmer dem Dritten entweder in jedem Falle oder aber überhaupt nicht.

ff) Auch eingeengt auf die Beschädigung arbeitgeberfremder Betriebsmittel ergibt sich für eine die deliktische Haftung des Arbeitnehmers gegenüber Dritten einschränkende, die Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit jedenfalls insoweit aufgreifende Rechtsfortbildung kein tragfähiger Ansatz.

(1) Freilich wird der Arbeitnehmer durch eine uneingeschränkte Außenhaftung gerade in diesem Bereich im besonderem Maße betroffen. Es entspricht dem überkommenen, jedenfalls dem bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches gültigen Bild, dass die Betriebsmittel dem Arbeitgeber gehören. Für diesen Fall kommen dem Arbeitnehmer bei einer Beschädigung des ihm an die Hand gegebenen Betriebsmittels, wenn sie bei einer gefahrgeneigten Arbeit eintritt oder die Benutzung des Betriebsmittels ihrerseits die Gefahr seiner Beschädigung mit sich bringt, die von der Rechtsprechung entwickelten Haftungserleichterungen zugute. Als Folge veränderter Wirtschafts- und Finanzierungspraktiken hat aber der Einsatz arbeitgeberfremder - gemieteter, geleaster, unter Eigentumsvorbehalt gekaufter oder sicherungsübereigneter - Betriebsmittel mehr und mehr Verbreitung gefunden. Dabei handelt es sich zunehmend um besonders hochwertige - eben von dem Arbeitgeber nicht ohne weiteres bezahlbare - Sachen, so dass im Falle einer Beschädigung entsprechend hohe Schadensersatzansprüche drohen. Gleichzeitig ist die Zahl der Insolvenzen und damit die Gefahr, dass der Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber nicht durchsetzbar ist, nicht geringer geworden. Somit hat sich für den Arbeitnehmer aufgrund gewandelter Verhältnisse das Risiko, bei Schädigung von Betriebsmitteln von Dritten in Anspruch genommen zu werden, deutlich erhöht. Andererseits ist für ihn vielfach nicht zu übersehen, ob das Betriebsmittel, mit dem er umgeht, dem Arbeitgeber gehört oder etwa geleast ist oder aus einem anderen Grunde im Eigentum eines Dritten steht. Auch wenn ihm bewusst ist, dass es sich um Eigentum eines Dritten handelt, kann er die Arbeit mit diesem Betriebsmittel rechtlich oder jedenfalls faktisch nicht verweigern. Aus seiner Sicht hat er so oder so seine Arbeit zu tun. Auch aus diesem Grunde will es nicht ohne weiteres einleuchten, dass für die Haftung des Arbeitnehmers je nach dem, ob das Betriebsmittel dem Arbeitgeber oder einem Dritten gehört, unterschiedliche Maßstäbe gelten sollen.

(2) Vor diesem Hintergrund fehlt es nicht an Versuchen, die Haftung des Arbeitnehmers wenigstens bei Beschädigung arbeitgeberfremder Betriebsmittel auch dem Dritten - dem Eigentümer - gegenüber nach Maßgabe der Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit zu beschränken (s. etwa Baumert aaO S. 142f.; Denck, Der Schutz des Arbeitnehmers vor der Außenhaftung, S. 137ff.; Gamillscheg/Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Aufl., S. 96f.; Günther/Hase AuR 1974, 364, 368f.; Pfeifer BB 1968, 132, 134; vgl. auch - aus rechtspolitischer Sicht - Otto aaO). Auch dem vermag der Senat indes nicht zu folgen. Wortlaut und Systematik der §§ 823ff BGB geben für eine Differenzierung je nach Art und Funktion der beschädigten Sache wie auch nach Art und Grad des Verschuldens (s. insoweit auch Baumert aaO S. 144) nichts her. Über das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Verbundenheit, die die eigentliche Rechtfertigung der Rechtsprechung zur gefahrgeneigten Arbeit darstellt, lässt sich im Verhältnis zu einem von dem Arbeitgeber verschiedenen Eigentümer auch bei den arbeitgeberfremden Betriebsmitteln nicht hinwegkommen. Die oben (s. zu dd) für eine Rechtsfortbildung in Betracht gezogenen Gesichtspunkte versagen in gleicher Weise auch hier und bieten ihrerseits keinen Anhalt für eine Sonderbehandlung von Betriebsmitteln. Eine allgemeine Rechtsüberzeugung, dass der Arbeitnehmer zumindest bei der Beschädigung von Betriebsmitteln auch im Verhältnis zu Dritten nur eingeschränkt hafte, hat sich ebenfalls nicht herausgebildet (vgl. etwa Blomeyer ZfA 1975, 243, 316f.). Auch die hinsichtlich der Betriebsmittel zusätzlich ins Feld geführten Argumente reichen für eine diesbezügliche Haftungsbeschränkung im Wege der Rechtsfortbildung nicht aus. Soweit eine Parallele zum finanzierten Abzahlungskauf gezogen und darauf verwiesen wird, dass nach den hierzu entwickelten Grundsätzen die Aufspaltung in zwei Rechtsverhältnisse nicht zu Rechtsnachteilen für den Käufer führen dürfe (Pfeifer aaO; Denck aaO S. 138), ist die rechtliche Ausgangslage insofern unvergleichbar anders, als beim finanzierten Abzahlungskauf Vertragsbeziehungen ineinander greifen, an denen der Käufer jeweils beteiligt ist. Die von der Rechtsprechung entwickelte Lösung der hieraus erwachsenden Probleme wurzelt dementsprechend im Vertragsrecht. Demgegenüber bestehen in dem hier untersuchten Verhältnis des Arbeitnehmers zu dem Eigentümer des arbeitgeberfremden Betriebsmittels gerade keine Vertragsbeziehungen, sondern es geht allein um einen deliktischen Anspruch. Soweit von anderer Seite eine Haftungsbeschränkung zugunsten des Arbeitnehmers bei arbeitgeberfremden Betriebsmitteln aus der sog. Risikotheorie hergeleitet wird (vgl. Günther/Hase aaO S. 368), läuft dies letztlich darauf hinaus, einen den gesetzlichen Voraussetzungen nach gegebenen Schadensersatzanspruch aus Funktionalitätserwägungen zu beschneiden. Dies muss jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.

Vermeidbarkeit und Vorhersehbarkeit

Das zweite Element der Pflichtbegründung, das Element der Vermeidbarkeit, enthält ein Kausalitäts- und Steuerungsmoment. Es geht darum, ob demjenigen, der in Anspruch genommen wird, überhaupt ein anderes Verhalten als das an den Tag gelegte möglich gewesen wäre. Wird ein wehrloser Mensch als Wurfgeschoss benutzt, so scheitert seine Verantwortlichkeit schon daran, dass sein Flug von ihm nicht gesteuert und beherrscht werden kann. Die fehlende Steuerungsfähigkeit schließt die Verantwortung aus.

Fraglich kann allein sein, wer bei Zweifeln über das Fehlen der Steuerungsfähigkeit die Beweislast zu tragen hat. Die Beweislastverteilung wird indessen unterschiedlich gesehen, je nachdem, ob es um eine Reflexauslösung oder um die Bewusstlosigkeit geht. Bei der Reflexauslösung liegt die Beweislast für die Steuerungsfähigkeit des Verhaltens (das Fehlen einer Reflexauslösung) beim Geschädigten (vgl. BGHZ 39, 103 zu einem Kegelunfall). Bei der Bewusstlosigkeit hingegen liegt die Beweislast beim Schädiger, wie der BGH in der nachfolgend wiedergegebenen Entscheidung ausgeführt hat:

Gericht: BGH 6. Zivilsenat, Datum: 01.07.1986, Az: VI ZR 294/85

Leitsatz

Ist streitig, ob der aus Delikt in Anspruch genommene Schädiger bei der Verursachung des Schadens bewusstlos war, so trifft ihn die Beweislast für die Bewusstlosigkeit; nicht etwa hat der Geschädigte den Beweis für eine vom Willen beherrschbare Handlung des Schädigers zu führen.

Fundstelle

NJW 1987, 121-122 (LT1)

VersR 1986, 1241-1242 (ST1)

Zum Sachverhalt (vereinfacht):

Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw eine Bundesstraße, als der entgegenkommende, bei der Beklagten haftpflichtversicherte Pkw des Ernst St. auf die Gegenfahrbahn geriet und frontal gegen den Pkw der Klägerin stieß. Die Klägerin wurde schwer verletzt; Ernst St. verstarb auf dem Transport ins Krankenhaus. Die Beklagte hat ihre volle Haftung für den Unfallschaden im Rahmen des Straßenverkehrsgesetzes anerkannt.

Die Klägerin verlangt die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Die Beklagte ist der Ansicht, die gesamten Umstände des Unfallablaufs ließen nur den Schluss zu, dass Ernst St. einen Herzinfarkt erlitten habe und bereits bewusstlos gewesen sei, als sein Fahrzeug aus der Kolonne ausscherte.

Beide Vorinstanzen haben der Klägerin ein Schmerzensgeld von 10.000 DM zuerkannt. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Aus den Gründen:

1. Im Ergebnis mit Recht legt das Berufungsgericht der Beklagten die Beweislast dafür auf, dass ihr Versicherungsnehmer Ernst St. bewusstlos war, als er den Verkehrsunfall und die Verletzung der Klägerin verursacht hat. Dieser Beweislastverteilung steht nicht, wie die Revision meint, der Umstand entgegen, dass die Klägerin als Voraussetzung des von ihr geltend gemachten Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB eine "willkürliche" Handlung des Ernst St. zu beweisen habe.

a) Richtig ist der Ausgangspunkt der Revision, dass - jedenfalls nach heutigem Verständnis - von einer "Handlung" nur bei einem Verhalten gesprochen werden kann, das der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegt und somit beherrschbar ist. Allein ein solches "willkürliches" Verhalten kann dem Schädiger zugerechnet werden; "unwillkürliche" Körperbewegungen, die vom menschlichen Bewusstsein nicht kontrolliert werden können, denen also jede Willenssteuerung von vornherein fehlt, vermögen eine Verschuldenshaftung nicht zu begründen (BGHZ 39, 103, 106 ff; BGB-RGRK, 12. Aufl., § 823 Rdn. 72; MünchKomm-Mertens, BGB 2. Aufl., § 823 Rdn. 17; Larenz, Schuldrecht II 12. Aufl., § 71 Ia S. 589 f; Esser/Schmidt, Schuldrecht I 6. Aufl., § 25 III 1 S. 353).

b) Diese Erwägung rechtfertigt es jedoch nicht, dem Geschädigten in allen Fällen, in denen der Schädiger geltend macht, den Schaden nicht durch ein willensabhängiges selbsttätiges Handeln herbeigeführt zu haben, den Beweis für eine willensgesteuerte Handlung aufzuerlegen. Vielmehr ist insoweit zu unterscheiden, aus welchen Gründen es möglicherweise an einem beherrschbaren Verhalten gefehlt hat.

Bringt der Schädiger vor, der Verletzungsvorgang sei unter physischem Zwang erfolgt oder als unwillkürlicher Reflex durch fremde Einwirkung ausgelöst worden, so beruft er sich auf außerhalb seiner Person liegende Umstände, welche die Willenssteuerung seines Verhaltens ausgeschlossen haben sollen. In derartigen Fallgestaltungen, bei denen bereits das äußere Erscheinungsbild eines eigenständigen Handelns des Täters in Frage steht (vgl. Schewe, Reflexbewegung, Handlung, Vorsatz (1972) S. 24 ff, 55, 69), hat allerdings der Geschädigte den Beweis für eine vom Willen getragene Handlung des Schädigers zu führen (BGH = aaO). Anderes gilt jedoch für die Fälle, in denen eine der Willenslenkung unterliegende Handlung des Schädigers aufgrund innerer Vorgänge, nämlich deshalb fraglich erscheint, weil der Täter möglicherweise bei der Schadensverursachung bewusstlos war (a. A. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, § 823 BGB Rdn. 3 und § 827 BGB Rdn. 3). Im Gegensatz zu der Schadensverursachung durch ein Reflex- oder Zwangsverhalten ist nämlich für die Verursachung von Schäden im Zustand der Bewusstlosigkeit in § 827 Satz 1 BGB eine gesetzliche Regelung dahin getroffen worden, dass bei solcher Sachlage (lediglich) die Verantwortlichkeit des Schädigers ausgeschlossen ist.

Die Fassung des § 827 BGB ist in Anlehnung an die damalige Vorschrift des § 51 StGB erfolgt, dass eine strafbare Handlung nicht vorhanden sei, wenn der Täter "zur Zeit der Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit" befand (vgl. Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl., § 827 Rdn. 2). Die Einbettung der Bewusstlosigkeit in die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit in § 827 BGB stellt eine gesetzgeberische Wertung dar: Die Bewusstseinslage ist deliktsrechtlich aus dem Begriff der Handlung ausgeklammert und als Element der Deliktsfähigkeit mit der Haftungsvoraussetzung des Verschuldens in der Weise verknüpft worden, dass der Schädiger die Beweislast für den Ausnahmefall einer Bewusstlosigkeit bei der Schadensverursachung trägt.

Dieser Wertung kann nicht entgegengehalten werden, der Gesetzgeber habe verkannt, dass es bei "völliger" Bewusstlosigkeit bereits an einer willensgesteuerten Handlung fehle; die Regelung des § 827 BGB könne sich deshalb allein auf graduell schwächere Formen der Bewusstseinsstörung (Schlaftrunkenheit, Rauschzustände, Halluzinationen o.ä.) beziehen. Wie sich aus den Motiven (Mot. II S. 731)

"Unwillkürliche Handlungen kommen als juristische Handlungen überhaupt nicht in Betracht, können nicht zugerechnet werden. Eine Anwendung dieses Grundsatzes enthält die Vorschrift des § 708 (jetzt: § 827 BGB), dass eine Person, welche, während sie des Vernunftgebrauches beraubt war, einem anderen einen Schaden zugefügt hat, hierfür nicht verantwortlich ist"

ergibt, hat der Gesetzgeber dieses Problem bei seiner Wertung in § 827 BGB durchaus gesehen.

An dem Normgehalt des § 827 BGB ist trotz der Änderungen festgehalten worden, die im Strafrecht die Ausgangsvorschrift des § 51 StGB im Laufe der Jahre erfahren hat. Dort ist die "Bewusstlosigkeit" zunächst durch den Begriff der "Bewusstseinsstörung" und in der jetzigen Fassung des § 20 StGB sodann durch die "tief greifende Bewusstseinsstörung" ersetzt worden (vgl. im einzelnen Staudinger/Schäfer = aaO). Damit ist der Erwägung Rechnung getragen worden, dass es bei völligem Mangel des Bewusstseins im strafrechtlichen Sinne bereits an einer Handlung fehlt (vgl. RGSt 64, 349, 353). Dem hat der Zivilgesetzgeber die Vorschrift des § 827 BGB jedoch nicht angepasst. Eine solche Angleichung kann nicht an seiner Stelle durch den Richter vorgenommen werden, zumal angesichts der Wesensverschiedenheit von Strafe und zivilrechtlicher Ersatzpflicht sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung sprechen (vgl. Staudinger/Schäfer = aaO Rdn. 3). Insbesondere für die hier entscheidende Frage der Beweislast, die sich im Strafprozess völlig anders darstellt, muss es deshalb für die Haftung aus unerlaubter Handlung nach § 827 Satz 1 BGB dabei verbleiben, dass der Beweis für einen Zustand der Bewusstlosigkeit bei der Schadensverursachung vom Schädiger zu führen ist. Solange im Streitfall die Beklagte den Beweis für eine Bewusstlosigkeit ihres Versicherungsnehmers nicht erbringt, ist deshalb von einer zurechenbaren Handlung des Ernst St. auszugehen, die nach Maßgabe der in der Rechtsprechung dazu entwickelten Kriterien als Grundlage eines Anscheinsbeweises für einen Fahrfehler in Betracht kommt (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84 - VersR 1986, 343, 344 m.w.N.).

Das dritte Element der Pflichtbegründung liegt in der Vorhersehbarkeit. Hier geht es zum einen darum, ob die Gefahrenlage überhaupt erkannt werden konnte und wie hoch man die Wahrscheinlichkeit der Gefahrrealisierung, des Schadenseintritts, zu veranschlagen hatte.

Zumutbarkeit

Steht die Garantenstellung des Inanspruchgenommenen, sowie die Tatsache, dass er das gebotene Alternativverhalten physisch hätte an den Tag legen können, fest, so bleibt als letztes Element der Pflichtwidrigkeit die Zumutbarkeit.

Das Verständnis des nun folgenden Abschnitts ist sehr wichtig für die Fähigkeit, in Klausuren und später auch im Beruf eigenständig Lösungen für fragliche Haftungsfälle entwickeln zu können.

Lesen Sie deshalb bitte zur Vorbereitung oder zur Ergänzung dieses Abschnittes folgende Texte:

Burow, Einführung in die ökonomische Analyse des Rechts, JuS 1993, 8 ff.

Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 10. Aufl. 2006, Rdnrn. 56 bis 92

Zweck des Deliktsrechts ist es, die einzelnen Individuen einer Gesellschaft zu einem Verhalten zu veranlassen, das möglichst Schäden vermeiden soll. Das ist die Steuerungsfunktion des Haftungsrechts. Durch Haftpflichtanreize soll das Verhalten potenzieller Schädiger so gesteuert werden, dass diese Maßnahmen zur Schadensabwehr betreiben (eben sich besonders sorgfältig zu verhalten). Dies soll jedoch nicht etwa dazu führen, dem Schädiger Pflichten aufzuerlegen, deren Ziel es ist, möglichst jegliche Schadensfälle zu verhindern. Dann nämlich müsste der potenzielle Schädiger möglicherweise Kosten aufwenden, die höher sind als die Kosten, die im Schadensfalle entstehen. Außerdem könnte es sein, dass der Geschädigte durch kostengünstigere Maßnahmen ebenfalls zur Schadensvermeidung hätte beitragen können.

Die Zumutbarkeitsfrage läuft also auf einen Kostenvergleich hinaus, der von dem amerikanischen Richter Learned Hand formuliert worden ist. Danach besteht eine Pflicht zur Schadensabwehr (SA) dann, wenn die Kosten der Schadensabwehr geringer sind als der Schadenserwartungswert. Der Schadenserwartungswert wird durch die Höhe des Schadens (S) und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts p(S) bestimmt. Auf eine knappe Formel gebracht sieht die Sache so aus:

Pflicht(SA), wenn Kosten(SA) S * p(S)

Das gilt aber nur dann, wenn nicht der Geschädigte durch Maßnahmen, deren Kosten noch geringer sind, als diejenigen der Schadensabwehr des Schädigers, den Schaden ebenfalls hätte abwehren können. Anders gesprochen: Das Risiko, die Kosten für einen Schaden übernehmen zu müssen, trägt stets der "cheapest cost avoider".

Greifen wir hierzu das Beispiel aus BGH NJW 1989, 2808 auf:

Ein Kraftfahrer war mit Rehwild kollidiert. Er verlangte vom Träger der Straßenverkehrssicherungspflicht Schadensersatz mit der Begründung, die zuständige Behörde hätte nicht nur ein Warnschild anbringen, sondern auch einen Wildschutzzaun aufstellen müssen, weil es an dieser Stelle besonders häufig (50 mal pro Jahr) zu Wildunfällen käme.

Angenommen, die Kosten für einen Zaun beziffern sich, einschließlich Zinsverlust gerechnet auf die Lebensdauer des Zaunes, auf 60.000 DM pro Jahr. Verglichen mit den Kosten für die Unfälle, die, bei einem durchschnittlichen Schaden von 2.000 DM pro Unfall, 100.000 DM pro Jahr betragen, ist dies weniger. Dennoch genügte die Aufstellung eines Schildes, denn nun waren die Autofahrer gewarnt und wurden dadurch zum "cheapest avoider", denn sie konnten nunmehr durch (fast) kostenloses langsames Fahren zumindest einen Großteil der Unfälle verhindern.

Im Urteil des BGH, der sich solch moderne Überlegungen natürlich noch nicht zu Eigen gemacht hat, liest sich das dann so:

b) Bei der Bestimmung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht gegenüber Gefahren, die dem Verkehr auf der Straße von Wild drohen, gilt es zu bedenken:

Wild ist herrenlos und eine natürliche Erscheinung. Im Grunde kann Wild an jeder ländlichen Straße, insbesondere im Wald, auf die Straße treten und den Verkehr gefährden. Es ist nicht Aufgabe des Verkehrssicherungspflichtigen, sämtliche Strecken, auf denen Wildwechsel möglich sind, durch Zäune zu sichern. Der Verkehrsteilnehmer kann und muss sich auf solche Gefahren einstellen. Ist Wildwechsel in Betracht zu ziehen, wird ein sorgfältiger Kraftfahrer zum Beispiel die Geschwindigkeit mäßigen, den Fahrbahnrand verstärkt beobachten, seine Reaktionsbereitschaft erhöhen oder auf andere Weise sein Fahrverhalten der jeweiligen Gefahrenlage anpassen. Allerdings muss der Verkehrssicherungspflichtige vor besonderen Gefahrstellen (z.B. Wildwechsel, Gegenden mit hoher Wilddichte oder Häufung von Wildunfällen) durch das Gefahrzeichen "Wildwechsel" (§ 40 Abs. 6, Zeichen 142 StVO) warnen, damit der Verkehrsteilnehmer die Straßenverhältnisse richtig einschätzen kann. Sind die besonderen Gefahrstellen durch Warnschilder sachgerecht angezeigt, ist der Verkehrssicherungspflicht Genüge getan. Wildschutzzäune sind grundsätzlich nicht vonnöten.

Doch auch wenn die Pflicht zur Schadensabwehr sich nach diesen Kriterien nicht ergibt, bleibt noch eine weitere Begründungsmöglichkeit. Wenn es sich um unvermeidbare Schäden handelt, oder die Vermeidungskosten nach der obigen Formel höher sind, als der drohende Verlust, so ist nach dem "cheapest insurer" zu fragen. Das ist derjenige, der den Schaden am günstigsten hätte versichern können.

Gerade Letzteres ist jedoch keineswegs in Literatur und Rechtsprechung, außer von den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts, anerkannt. Wie schon der obige Entscheidungsauszug zeigt, wird in der Rechtsprechung zwar auch mit Zumutbarkeitserwägungen hantiert, doch zur strengen Durchführung des Kostenvergleichs als grundsätzliche Vorgehensweise bei der Feststellung des Maßes der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" konnte sie sich bisher noch nicht durchringen.

Wer den Überlegungen bis hierher ein gewisses Verständnis entgegen gebracht hat, sollte sich allerdings auch klar darüber werden, dass das Argumentationspotenzial der ökonomischen Analyse des Rechts nicht einfach zu handhaben ist. Nach Abfassung der vorstehenden Überlegungen ist mir die Analyse des BGH-Urteils aus für die ökonomische Analyse berufener Feder von Kötz und Schäfer zu Augen gekommen, die ich dem Leser nicht vorenthalten möchte:

Das Urteil überzeugt nicht. Es verkennt, dass das Haftungsrecht die Aufgabe hat, durch Setzung entsprechender Anreize das Verhalten der Bürger dahin zu beeinflussen, dass sie alle Schadensereignisse zu verhüten bestrebt sind, die zu verhüten deshalb sinnvoll ist, weil die Verhütungskosten einen geringeren Aufwand verursachen als er durch die andernfalls eintretenden Schäden entstünde. Dass sich die geltenden Regeln des Haftungsrechts - insbesondere die richterliche Konkretisierung des Begriffs der "Fahrlässigkeit" - über weite Strecken hinweg in der Tat an dem genannten Steuerungsziel orientieren, ist im Schrifttum schon oft dargestellt worden (vgl. dazu im einzelnen Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (1986) S. 115 ff.; Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung (1985) S. 120 ff.; Kötz, Ziele des Haftungsrechts: FS für Ernst Steindorff (1990) 643 ff.; ders., Deliktsrecht, 5. Aufl. (1991), Rn. 36 ff., 119 ff.). Richtig ist zwar, dass die Nutzen-Kosten-Abwägung, auf die es danach ankommt, nur selten offen angestellt wird (vgl. immerhin BGH NJW 1984, 801), vielmehr in der Regel auf richterlicher Intuition beruht, freilich deshalb nicht weniger wirksam ist. Dies hängt damit zusammen, dass genaues Zahlenwerk, auf das sich eine Aufrechnung der Nutzen gegen die Kosten stützen ließe, oft fehlt oder nur mit erheblicher Mühe oder großem Zeitaufwand zu erlangen ist. Im vorliegenden Fall waren aber die erforderlichen Tatsachen zum Teil vom Kläger ausdrücklich behauptet, zum Teil mit Leichtigkeit zu ermitteln. Zu bedauern ist nicht nur, dass der BGH diesen Umstand verkannt hat, sondern vor allem, dass er, weil er ihn verkannt hat, zu einem falschen Ergebnis gekommen ist.

Das Urteil wäre sicherlich richtig, wenn es zuträfe, dass Kollisionen zwischen Kraftfahrern und Wild sich schon durch die Aufstellung eines vor Wildwechsel warnenden Verkehrsschildes verhüten lassen. Denn die Kosten eines solchen Schildes fallen, ohne dass man viel zu rechnen bräuchte, überhaupt nicht ins Gewicht gegenüber den Unfallschäden, deren Eintritt das Schild verhindert. In Wahrheit verhütet ein solches Verkehrsschild Wildunfälle aber nicht. Täte es das, so wäre nicht zu erklären, wieso es trotz des Schildes auf der Kreisstraße, um die es hier geht, alljährlich zu 50 bis 60 Wildunfällen kommt. Jeder weiß, dass ein solches Verkehrsschild zwar den einen oder anderen Kraftfahrer für eine gewisse Zeit zu verschärfter Beobachtung des Fahrbahnrandes oder zu einer Verringerung seines Tempos veranlassen mag. Aber die Erfahrung und die hier vom Kläger behaupteten Unfallzahlen lehren, dass der Verhütungseffekt solcher Schilder jedenfalls dort gering einzuschätzen ist, wo das durch Wildwechsel gefährdete Straßenstück - wie im vorliegenden Fall - viele Kilometer lang ist.

Aus dem Umstand, dass ein Verkehrsschild wirkungslos ist, folgt noch nicht, dass ein Zaun anzubringen war. Zwar verhütet der Zaun mit Sicherheit alle Wildunfälle. Seine Anbringung wäre aber gleichwohl nur dann geboten und seine Nichtanbringung daher nur dann fahrlässig i.S. des § 823 Abs. 1 BGB, wenn die im Lande Hessen dadurch entstehenden Kosten niedriger liegen als die Schäden, die der Zaun zu verhüten geeignet ist.

Nimmt man an, dass die Gefahrstrecke 6 km lang, also 12 km Zaun erforderlich sind, so belaufen sich die Kosten für seine Errichtung auf 300.000,- DM, da nach der von uns eingeholten Auskunft einer Fachfirma die Lieferung und Installierung eines 2 m hohen Maschendrahtzauns einschließlich der Haltepfähle 25,- DM/m kostet. Die Zinserträge, die dem Lande Hessen zuflössen, wenn es den Betrag von 300.000,- DM zu 8,5% p.a. auf dem Kapitalmarkt anlegte, belaufen sich auf jährlich 25.000,- DM, zum gleichen Betrag kommt man, wenn man annimmt, dass das Land sich den Betrag auf dem Kapitalmarkt zu diesem Zinsfuß beschaffen muss. Der Abschreibungsaufwand beläuft sich, wenn man eine 10-jährige Lebensdauer des Zauns unterstellt, auf 30.000,- DM/Jahr. Wenn man weiterhin für die zweimalige Wartung und Reparatur des Zauns jeweils im Frühjahr und Herbst 4.000,- DM/Jahr veranschlagt, so beläuft sich der dem Lande Hessen durch die Lieferung, Errichtung und Unterhaltung des Zauns entstehende Gesamtaufwand auf jährlich 59,500,- DM.

Auf Anfrage hat uns die Allianz-Versicherung (Direktion Hamburg) aus ihrer zentralen Unfalldatei mitgeteilt, dass die von ihr 1991 regulierten Wildunfälle zu Schadenaufwendungen für Sachschäden in Höhe von durchschnittlich 2.005,- DM/Unfall geführt haben. Das bedeutet, dass die vom Kläger behaupteten Wildunfälle allein zu Sachschäden in Höhe von 100.000 bis 120.000,- DM/Jahr führen; dabei ist der Schaden noch nicht eingerechnet, der der Forstverwaltung durch die Tötung oder Verletzung des Wildes entsteht. Was die durch Wildunfälle verursachen Personenschäden anlangt, so waren leider entsprechende Angaben über den durchschnittlichen Schadensaufwand nicht erhältlich. Vor allem war im vorliegenden Fall den Behauptungen des Klägers nicht zu entnehmen, wieviele von den jährlichen 50 bis 60 Wildunfällen nur zu Sachschäden und wieviele von ihnen auch zu Personenschäden geführt haben. Freilich wäre das durch Rückfrage bei den für die Verkehrsunfallstatistik zuständigen Landesbehörden wohl unschwer zu erfahren gewesen. Wir haben stattdessen das Statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland herangezogen (vgl. zu den folgenden Angaben Statistisches Jahrbuch 1987 für die Bundesrepublik Deutschland, Tab. 13,31 S. 315). Es weist aus, dass im Jahre 1985 sich die Zahl der polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle mit Personenschäden (327.745) zur Zahl der insgesamt erfassten Straßenverkehrsunfälle (1,841 Mio.) wie 1:5,6 verhält und danach von den hier in Rede stehenden 50 bis 60 Wildunfällen vermutlich rund 10 auch zu Personenschäden geführt haben. Wie schwer diese Schäden waren und mit welchem Betrag sie zu veranschlagen sind, ist zweifelhaft. Fest steht immerhin, dass die Schadensaufwendungen, die die deutschen Kft-Haftpflichtversicherer 1985 zur Regulierung von Personenschäden aus Verkehrsunfällen leisteten, sich auf rund 3,064 Mrd. DM belaufen haben, also auf jeden der 327.745 Verkehrsunfälle mit Personenschäden rund 9.300,- DM entfallen sind. In Wahrheit dürfte dieser Betrag wesentlich höher liegen, weil es unter den polizeilich erfassten Verkehrsunfällen mit Personenschäden viele gibt, für die niemand haftet und daher auch kein Haftpflichtversicherer eintritt. Selbst wenn man die oben genannte Zahl von 9.300,- DM zugrunde legt, kommt man auf Schäden von weiteren 93.000,- DM/Jahr; dabei bleibt noch ganz unbeachtet, dass gute Gründe dafür sprechen, dass in der Haftpflichtpraxis die Schäden, die durch die Körperverletzung und Tötung von Menschen entstehen, viel zu niedrig bewertet werden (vgl. dazu Ott/Schäfer, Schmerzensgeld bei Körperverletzungen, Eine ökonomische Analyse: JZ 1990, 563). Wie man es auch dreht und wendet, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit dem für die Errichtung und Unterhaltung des Zauns erforderlichen Betrag von jährlich knapp 60.000,- DM sich Sach- und Personenschäden von mindestens dreifacher Höhe mit Sicherheit hätten vermeiden lassen. Dass fahrlässig handelt, wer eine derart dringlich gebotene Maßnahme der Schadensabwehr unterlässt, kann ernsthaft wohl nicht bezweifelt werden.

Die Geschichte ist freilich noch nicht zu Ende. Wer heute die fragliche Kreisstraße in der Gemarkung Mörfelden-Walldorf befährt, wird zu seiner Überraschung feststellen, dass sich auf einer Strecke von 6 km auf beiden Straßenseiten ein funkelnagelneuer Wildschutzzaun befindet. Wie ist das zu erklären? Hatte nicht der BGH dem Lande Hessen mit seinem Urteil bescheinigt, dass es auch weiterhin in Untätigkeit verharren und dabei noch ein gutes Gewissen haben dürfe? Konnte das Land nicht mit Gleichmut zusehen, wie es Jahr für Jahr zu 50 bis 60 Verkehrsunfällen in der Gemarkung Mörfelden-Walldorf kommt, und wäre es nicht klug vom Lande gewesen, allen Unfallbeteiligten vor Ort solang Kopien der BGH-Entscheidung auszuhändigen, damit allfälligem Anspruchsdenken sogleich ein höchstrichterlicher Stoß versetzt werde? Das Land Hessen ist diesen Weg jedoch nicht gegangen; es hat den Zaun gebaut. Den Anstoß dazu hat aber nicht die Einsicht gegeben, dass die BGH-Entscheidung falsch sei. Den ersten Anstoß gab vielmehr der Umstand, dass die örtliche Forstverwaltung es leid geworden war, mit anzusehen, wie Jahr für Jahr ihr Wildbestand erheblich dezimiert wurde. Sie ist es daher gewesen, die beim Lande mit Nachdruck auf den Bau des Zaunes gedrungen, dabei natürlich auch auf die Schäden der Verkehrsteilnehmer hingewiesen und sich mit ihrer Forderung schließlich durchgesetzt hat (Angaben der örtlichen Polizeidienststelle und der zuständigen Forstverwaltung). Dass Tierschutzerwägungen den Anstoß zur Errichtung des Zauns gegeben haben, mag für die Tierschützer einen Grund zur Freude bilden; was den BGH anlangt, so wäre eher Nachdenklichkeit am Platze.

Wenn nach den vorstehenden Überlegungen eine Pflicht zu einem alternativen Verhalten begründet worden ist, bleiben noch zwei Problemkomplexe zu bewältigen. Zum einen muss die Kausalität der Pflichtwidrigkeit festgestellt werden, zum anderen ist fraglich, ob jeder durch die Pflichtwidrigkeit verursachte Schaden dem Schädiger auch zuzurechnen ist.

Zuletzt geändert: Mittwoch, 3. September 2008, 14:42