Haftungsrecht: Einführung

Kraft eines Schuldverhältnisses, so bestimmt es § 241 Abs. 1 S. 1 BGB, ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Für die Begründung von solchen aus Leistungspflichten bestehenden Schuldverhältnissen (Schuldverhältnisse im engeren Sinne) sind grundsätzlich zwei Wege vorgesehen. Der eine besteht in dem vertraglichen Versprechen einer Leistung (§ 311 Abs. 1 BGB), der andere in der gesetzlichen Begründung einer Leistungspflicht. Dieser andere Bereich macht die gesetzlichen Schuldverhältnisse aus. Es sind regelmäßig sog. Ausgleichsschuldverhältnisse, in denen es um den Ausgleich von Vermögensverschiebungen geht. Im Besonderen Teil des Schuldrechts sind geregelt: die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) in den §§ 677 bis 687 BGB, die ungerechtfertigte Bereicherung in den §§ 812 bis 822 BGB und die unerlaubten Handlungen in den §§ 823 bis 853 BGB.

Gesetzliche Ausgleichsansprüche haben auch die Regeln zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) zum Inhalt. Das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis ist im Sachenrecht in den §§ 987 bis 1003 BGB geregelt. Bei ihm sind insbesondere die Konkurrenzen zu den im Schuldrecht geregelten Ausgleichsschuldverhältnissen von Bedeutung.

Ausgleichsperspektiven

Der Ausgleich von Vermögensbewegungen kann von unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Der Blick mag sich auf eine eingetretene Vermögensminderung (Verlust) richten und danach fragen, ob das entstandene Loch in irgendeiner Weise wieder aufgefüllt werden muss. Der Blick mag sich aber auch auf eine Vermögensmehrung (Gewinn), auf ein Zuviel im Vermögen eines anderen, richten und danach fragen, ob nicht das Zuviel abgeschöpft werden kann. Die Perspektive des Verlustausgleichs nehmen Schadensersatzansprüche und Aufwendungsersatzansprüche ein. Die Perspektive des Gewinnausgleichs oder des Ausgleichs der Vermögensmehrung finden wir im Bereicherungsrecht und bei der Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erlangten im Recht der GoA.

Wir wenden uns dem außervertraglichen Haftungsrecht zu, für den als besondere Lektüreempfehlung Kötz, Hein/Wagner, Gerhard, Deliktsrecht, 11. Aufl. 2010, gilt.

Außervertragliches Haftungsrecht (Deliktsrecht i.w.S.)

Das außervertragliche Haftungsrecht richtet seinen Blick auf Schäden, die jemand im Kontakt mit solchen Personen erlitten hat, mit denen er in keinen (vertraglichen) Sonderbeziehungen steht. Es fragt danach, ob der Schaden - das ist eine als nachteilig empfundene Veränderung der Güterlage - bei dem hängen bleibt, der ihn (zufällig) erlitten hat, oder ob es eine Möglichkeit gibt, einen anderen zum Ausgleich des Schadens heranzuziehen. Die letztere Möglichkeit besteht nach einem in unserem Recht geltenden Grundprinzip nur, wenn eine Rechtsnorm die Abwälzung des Schadens auf einen anderen erlaubt. Ist das nicht der Fall, bleibt der Schaden an dem hängen, den das Unglück getroffen hat. Dies ist der Inhalt des Satzes: "Casum sentit dominus" oder in der modernen Bildungssprache ausgedrückt: "The loss lies where it falls."

Zurechnungsgründe, die hinter den gesetzlichen Ausgleichsanordnungen stehen können, sind das Einstehenmüssen für Unrecht und Schuld (im Wesentlichen durch die unerlaubten Handlungen des BGB-Deliktsrechts geregelt), für die Risikoverwirklichung einer (erlaubten) Gefährdung (im Wesentlichen in Spezialgesetzen außerhalb des BGB geregelt), für zur Gefahrenabwehr erlaubte Eingriffe (vgl. § 904 BGB), für übernommene Garantien und Versicherungen. Der letzte Bereich hat mit den Regeln der außervertraglichen Haftung eigentlich nichts mehr zu tun, weil die Übernahme von Garantien und Versicherungen in der Regel im Vertragsgewande erfolgt.

Interessenschutz (Vertragshaftung - außervertragliche Haftung)

Außervertragliche Haftung und vertragliche Haftung mögen sich überlappen. Ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede können deutlich werden, wenn man sich über die unterschiedlichen Arten des zivilrechtlichen Interessenschutzes verständigt. Wir kennen das positive Interesse, das negative Interesse und das sog. Integritätsinteresse, das einen Teilaspekt des negativen Interesses beleuchtet. Das positive Interesse ist auf die Erfüllung eines Vertragsversprechens gerichtet und bedeutet schadensrechtlich, dass der zum Ersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen hat, der bestehen würde, wenn es zur Erfüllung des Vertragsversprechens gekommen wäre. Das negative Interesse hat einen vertraglichen Aspekt und einen außervertraglichen Aspekt. Beim vertraglichen Aspekt geht es um das sog. Vertrauensinteresse, bei dem schadensrechtlich der Zustand herzustellen ist, der bestehen würde, wenn das Vertrauen in die Gültigkeit etwa eines Rechtsgeschäfts oder einer Willenserklärung nicht enttäuscht worden wäre. Bei dem außervertraglichen Aspekt geht es um das Interesse, nicht durch Einwirkungen anderer Einbußen an seinen Gütern zu erleiden. Hier ist das sog. Integritätsinteresse angesprochen, und der in ihm Verletzte ist schadensrechtlich so zu stellen, wie wenn die Verletzung nicht stattgefunden hätte.

Die bislang angesprochenen Interessendifferenzierungen spielen sich auf der Ebene der sog. Haftungsbegründung ab. Wir kennen dazu auch die Ebene der Haftungsausfüllung. Damit ist das Schadensrecht im engeren Sinne angesprochen, das im BGB in den §§ 249 ff. geregelt ist. Hier stehen sich das Integritätsinteresse und das Vermögensinteresse gegenüber. Die Unterscheidung knüpft an die beiden Formen des Schadensausgleichs an: Restitution (Herstellung) und Kompensation. Die Restitution wahrt das Integritätsinteresse, die Kompensation wahrt allein das Vermögensinteresse.

Der Vermögensschutz spielt auch für die Unterscheidung der Vertragshaftung von der außervertraglichen Haftung eine Rolle. Die beiden Haftungen gemeinsame Haftungsausfüllung nach dem Schadensrecht in den §§ 249 ff. BGB erlaubt im Kompensationsbereich lediglich den Ausgleich von Vermögensschäden. Und dennoch ergeben sich im Hinblick auf den Vermögensschutz gravierende Unterschiede zwischen Vertragshaftung und außervertraglicher Haftung, weil die Vertragshaftung bei Vertragspflichtverletzungen genuinen Vermögensschutz garantiert, während die außervertragliche Haftung in den Grundtatbeständen den Vermögensschutz nur eröffnet, wenn er über einen Rechtsgüterschutz (§ 823 Abs. 1 BGB), über die Verletzung von Schutzgesetzen (§ 823 Abs. 2 BGB) oder über eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) vermittelt wird. Das außervertragliche Haftungsrecht kennt insofern keinen genuinen, sondern nur einen vermittelten Vermögensschutz.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen der Vertragshaftung und der außervertraglichen Haftung besteht in der Zurechnung von Fehlverhalten, das von Gehilfen ausgeht. Während im Vertragsrecht § 278 BGB dem Geschäftsherrn das Fehlverhaltensrisiko des Gehilfen ohne jede Entschuldigungsmöglichkeit auflädt, kennt das außervertragliche Haftungsrecht eine Gehilfenhaftung nur bei einem eigenen Verschulden des Geschäftsherrn (§ 831 BGB). Dieses eigene Verschulden wird allerdings vermutet, wenn eine rechtswidrige Schädigung vom Verrichtungsgehilfen ausgegangen ist.

Die günstigeren Möglichkeiten des Vertragsrechts, zu Schadensersatzansprüchen zu kommen, haben dazu geführt, die Vertragshaftung auch in Bereiche hinein auszudehnen, in denen von Verträgen ohne Verrenkungen und Verdrehungen kaum die Rede sein kann. Man kann die quasivertragliche von der quasideliktischen Haftung unterscheiden. Bei der quasivertraglichen Haftung geht es um die Bindung an Äußerungen, Auftreten, Erklärungen unterhalb der Schwelle für Vertragserklärungen. Mit der Bindung an solche Erklärungen wird der Weg zum genuinen Vermögensschutz geöffnet. Prominentes Beispiel in diesem Bereich ist das vorvertragliche Schuldverhältnis aus § 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (Kodifizierung des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo). Man spricht auch von einer allgemeinen Vertrauenshaftung. Im Einzelnen ist hier vieles streitig.

Die quasideliktische Haftung vermittelt Rechtsgüterschutz im Vertragsgewande bei sog. gesteigertem sozialen Kontakt. Hier geht es in erster Linie darum, die in einer arbeitsteiligen Welt als unangemessen empfundene Regelung des § 831 BGB zu überspielen durch Haftungen, für die die Zurechnungsnorm des § 278 BGB gilt. Der Interessenschutz ist der Integritätsschutz, der eigentlich dem außervertraglichen Haftungsrecht anvertraut ist. Integritätsschutz im Gewande der vertraglichen Haftungsinstitute gibt es durch die in §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 bzw. 282 sowie in §§ 311 Abs. 2 und 3, 241 Abs. 2 BGB kodifizierten Rechtsinstitute der sog. culpa in contrahendo, positiven Forderungsverletzung und des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte.

Eine weitere Entwicklung droht zur Konfusion früher klar abgegrenzter Haftungsbereiche beizutragen. Bei ihr werden nicht an sich deliktisch geschützte Interessen durch Vertrag geschützt, sondern umgekehrt Vertragsinteressen durch außervertragliche Haftungstatbestände. Es geht um das Problem sog. weiterfressender Schäden. Dieses durch die Schuldrechtsreform erheblich entschärfte Problem ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Vertragssache von vornherein mit einem Mangel geliefert wird, der sich später, in der Regel nach Ablauf der vertraglichen Verjährungsfristen, schädlich auf vorher unversehrte Teile der Vertragssache auswirkt.

Zuletzt geändert: Freitag, 27. Mai 2011, 12:39