„Moral predigen ist leicht, Moral begründen schwer.” Dieses Motto stellt Arthur Schopenhauer seiner Preisschrift über die Grundlage der Moral voran. Die beiden Tätigkeiten ordnet er dabei entschieden zu: Ersteres erledigt die Religion; Zweiteres die Philosophie bzw. die Ethik.

Selbstverständlich haben Religionen wesentlich mehr zu bieten, als einen Katalog normativ-ethischer Anforderungen. Sie zeichnen sich durch eigenständige Gesellschaftssysteme, kultische Zeremonielle oder sogar dies- und jenseitige Weltmodelle aus. Sie wecken bei ihren Anhänger*innen empyreische Hoffnungen unter der Bedingung einer speziellen Lebensgestaltung. Zu Letzteren zählen beispielsweise Speisegebote und Verbote beim Umgang mit Blut oder dem Ausüben bestimmter Berufe.

Aber hat Schopenhauer überhaupt recht? Ist die Frage nach dem Schwierigkeitsgrad so pauschal zu beantworten? Scheren sich Religionen überhaupt nicht um die Begründung ihrer Moralvorstellungen? Findet man nicht doch ein wenig Ethik in den Religionen?

Dem wollen wir in diesem Seminar nachgehen. Wie kann Religion überhaupt als Quelle von Moral fungieren? Über welche Mittel zur Moralbegründung verfügt sie? Ist die Vorstellung eines freien Willens mit der Existenz eines allwissenden Gottes vereinbar?

Das Auseinandersetzen mit den aufgeworfenen Fragen erfordert die Beschäftigung mit grundlegenden religionsphilosophischen Positionen, die wir uns anhand historischer und systematischer Texte erarbeiten wollen. Wir befassen uns außerdem exemplarisch mit einigen Religionen und einigen der in diese Religionen eingebetteten Anforderungen: mit dem Judentum, dem Christentum, dem Islam und auch mit dem Buddhismus.

Alle Texte, auf deren Basis die Diskussion stattfinden soll, sowie etwas Literatur zur Einstimmung werden über Moodle zur Verfügung gestellt. Da sie überwiegend in englischer Sprache verfasst wurden, ist die Bereitschaft zur Lektüre englischsprachiger Texte für die Teilnahme am Kurs unerlässlich und wird dementsprechend vorausgesetzt.

Dienstag
Zeit: 10.00 - 12.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

In unserer Welt erleben wir die verschiedensten Veränderungen: Pflanzen erblühen, Bäume wachsen, Menschen altern, Gletscher schmelzen. Vereinfacht ausgedrückt lassen sich diese Dinge, die derartige Veränderungen durchleben, innerhalb der klassischen Metaphysik als Substanzen begreifen. Substanzen sind isolierte, ontologisch unabhängige Einzeldinge und werden unter anderem als Trägerinnen von Eigenschaften definiert. Dies können entweder wesentliche Eigenschaften sein, die die Substanz nicht verlieren kann, ohne aufzuhören zu existieren oder akzidentelle Eigenschaften, die die Substanz bedenkenlos verlieren kann, ohne dass ihre Existenz gefährdet wäre. Einzig durch das An- und Ablegen von Eigenschaften lassen sich also Veränderungen der Substanzen erklären.

Doch wie überzeugend ist diese eher statische Konzeption von Substanzen als grundlegende ontologische Kategorie? Ist unsere Welt nicht viel dynamischer? Berücksichtigt man neben den mit bloßem Auge erkennbaren Veränderungen auch die Prozesse, die erst unter einem Mikroskop sichtbar werden oder sich gar auf atomarer oder subatomarer Ebene abspielen, so scheint unsere Welt niemals still zu stehen.

Die philosophische Strömung, die derartige stoffliche Veränderungen als grundlegende ontologische Kategorie begreift, ist die Prozessphilosophie. Sie geht davon aus, dass die Natur sich in erster Linie aus Veränderungen und Prozessen zusammensetzt und dass Dinge lediglich eine abgeleitete Abstraktion unserer Erkenntnis sind. Bemerkenswert ist, dass sich Befürworter*innen der Prozessphilosophie sowohl in der griechischen Antike als auch in der Gegenwart finden.

Nach der radikalsten Interpretation der populären Fluss-Fragmente Heraklits – so das Verständnis von Aristoteles und Theophrast – betonen diese die absolute Kontinuität von Veränderung in jedem einzelnen Gegenstand: alles ist in ständigem Fluss. Aristoteles äußert in seiner Physik, von der Rezeption Heraklits merklich beeinflusst, die Vermutung, dass selbst mutmaßlich statische Dinge unsichtbaren oder unbemerkten Veränderungen unterliegen. Auch die Erkenntnisse der modernen empirischen Naturwissenschaften wie der Biologie oder der Quantenphysik lassen sich erstaunlich gut mit einem prozessphilosophischen Ansatz verbinden.

Gründe genug, sich mit der metaphysischen Strömung auseinanderzusetzen. Anhand der Lektüre repräsentativer Schriften von Philosoph*innen wie Heraklit, Aristoteles, Alfred N. Whitehead oder Helen Steward wollen wir uns mit den Kernthesen der Prozessphilosophie vertraut machen. Alle Texte auf deren Basis die Diskussion stattfinden soll, sowie etwas Literatur zur Einstimmung, werden über Moodle zur Verfügung gestellt. Da die moderneren Texte überwiegend in englischer Sprache verfasst wurden, ist die Bereitschaft zur Lektüre englischsprachiger Texte für die Teilnahme am Kurs unerlässlich und wird dementsprechend vorausgesetzt.

Donnerstag
Zeit: 10.00 - 12.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

David Hume (1711 - 1776) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der schottischen Aufklärung und des Empirismus. Seine 1748 erschienene Untersuchung über den menschlichen Verstand (An Enquiry Concerning Human Understanding) ist ein wichtiges und nach wie vor einflussreiches Werk der theoretischen Philosophie, in der Hume das menschliche Erkenntnisvermögen sowie dessen Reichweite untersucht. Hume entwirft darin eine empiristische Erkenntnistheorie, der gemäß sinnliche Erfahrung die einzige Quelle von Erkenntnissen über die Welt (Tatsachenwissen) sei.

Neben grundlegenden Fragen zur Natur der Erkenntnis und des menschlichen Geistes thematisiert Hume in den Untersuchungen u.a. auch Fragen der Wissenschaftstheorie (Sind induktive Schlüsse gerechtfertigt? Was ist Kausalität?) und der Religionsphilosophie (Ist es rational, an Wunder zu glauben?).

Im Seminar werden wir Humes Untersuchung lesen, analysieren und diskutieren.

Textgrundlage:
Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, hrsg. v. M. Kühn, Hamburg 2022
Hume, David: An Enquiry Concerning Human Understanding, ed. by T. Beauchamp, Oxford 1999

Mittwoch:
Zeit: 12.00 - 14.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

In diesem Seminar soll es um grundlegende Fragen in derMetaphysik gehen wie z.B. "Was gibt es?", "Was sind die grundlegenden Entitäten der Welt?", "Was ist eine grounding-Relation?", aber auch um metametaphysische Fragen, die in die entsprechenden Diskurse hineinragen wie "Gibt es verschiedene Arten von Existenz bzw. verschiedne Existenzquantoren?", "Sind viele metaphysische Diskussionen nur ein leerer Streit, vielleicht nur ein Streit um Worte?". Texte werden rechtzeitig auf Moodle bekannt gegeben.

Mittwoch
Zeit: 12.00 - 14.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

[vorläufige Fassung; Ankündigungstext wird evtl. noch geändert oder ergänzt]

Der Tractatus logico-philosophicus (1921) von Ludwig Wittgenstein (1889-1951), hauptsächlich während des 1. Weltkriegs verfasst und im Gefangenenlager fertiggestellt, ist zweifelsohne eines der ungewöhnlichsten, faszinierendsten und einflussreichsten Werke der gesamten Philosophie-Geschichte. Direkt in den ersten Sätzen geht es „unbescheiden” damit los, was die Welt insgesamt ist („Die Welt ist alles, was der Fall ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge”; TLP 1-1.1), und am Ende erklärt Wittgenstein sein eigenes Werk für – immerhin hilfreichen – Unsinn: „Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)” (TLP 6.54) Dazwischen wird eine Abbildtheorie der Sprache entworfen, eine therapeutische Philosophie-Auffassung artikuliert („Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft - also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat -, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat”; TLP 6.53), über das Unsagbare geredet („Sie [die Philosophie] wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt”; TLP 4.115), die Wahrheitstafel-Methode in der Logik entwickelt, und vieles andere mehr.

Im Seminar soll sich dem Tractatus vor allem durch gründliche gemeinsame Lektüre von und Auseinandersetzung mit Wittgensteins Text selbst genähert werden. Es soll diskutiert werden, welche Ideen klar und nachvollziehbar, welche unklar und mysteriös, welche interessant und einflussreich und welche vielleicht auch einfach verfehlt und unausgegoren sind (oder zumindest so scheinen). Um der Klärung und Beantwortung dann noch offenbleibender Fragen näherzukommen, bieten sich gezielte Blicke in die ansonsten unüberschaubare Sekundärliteratur zum Tractatus an. Der Umstand, dass das Seminar von zwei Lehrenden geleitet wird, verspricht durch die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen Wittgensteins Text ggf. betrachtet und eingeschätzt wird, eine besondere Dynamik.

Alle interessierten Studierenden, die bereit sind, sich auf ein Denkabenteuer der besonderen Art einzulassen, an dessen Ende immer noch kaum klare und einfache Antworten zu erwarten sein werden (aber vielleicht doch vieles Interessante angesprochen und manches auch klargeworden sein wird), sind herzlich zur Teilnahme am Seminar eingeladen.

Mittwoch
Zeit: 10.00 - 12.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

Sollten wir uns Sorgen um unseren eigenen Tod machen? Die Frage scheint leichtfertig zu sein, als könnten wir etwas anderes tun, als uns davor zu fürchten. Epikur behauptete bekanntlich, dass der Tod uns eigentlich nichts angeht: wenn der Tod Vernichtung ist, dann gibt es schließlich niemanden mehr, dem er zustößt. Und doch sprechen wir von Toten, und somit Nichtexistierenden, als ob wir ihnen irgendwelche Eigenschaften, vor allem die des Totseins zuschreiben könnten. Wenn der Tod jedoch tatsächlich das Ende und damit die Nichtexistenz der betroffenen Person bedeutet, dann erleiden oder erleben wir den Tod streng genommen nicht. Daher kann unser Tod nicht zu unserem Nachteil, aber auch nicht zu unserem Nutzen sein. Da wir uns nur über zukünftige Zustände Sorgen machen sollten, die entweder zu unserem Nutzen oder zu unserem Nachteil sind, sollten wir uns auch jetzt keine Sorgen über unseren zukünftigen Tod machen.

In „Epicurus and the Singularity of Death” untersucht und erweitert David B. Suits die epikureische Haltung zum Tod und argumentiert insbesondere gegen die Deprivationssicht des Todes: der Tod kann keinen Verlust oder Gewinn für das bedeuten, was nicht mehr existiert. (Scheinbar) paradoxerweise argumentiert Suits sogar, dass es zwar ein Recht darauf gäbe, nicht verletzt oder gequält zu werden, es jedoch kein Recht darauf geben kann, nicht getötet zu werden, wiewohl das Ableben einer Person die Rechte der ihr Nahestehenden beeinträchtigt. Insofern, so Suits, verstöße insbesondere die Abtreibung nicht gegen das vermeintliche Recht auf Leben. Da der Tod dem Verstorbenen keinen Nutzen bringen kann, ist die epikureische Sicht des Todes in Bezug auf die Frage der Euthanasie allerdings überraschenderweise neutral. Zudem kann es notwendig sein, dass wir unsere Sicht auf den sogenannten letzten Willen überdenken, da die Absichten und Wünsche einer Person ihren Tod nicht überleben können (eine Leiche hat keinen Willen, den man respektieren müsste).

Suits aktualisiert eine Argumentation der antiken Philosophie zu einem existenziellen Thema auf originelle und zum Nachdenken anregende Weise. Zudem enthält das Buch eine Diskussion der relevanten neuesten philosophischen Literatur zum Thema Tod.

Literatur

David B. Suits (2020), Epicurus and the Singularity of Death: Defending Radical Epicureanism, London: Bloomsbury.

Montag
Zeit: 14.00 - 16.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben

Donnerstag / Thursday
Zeit / Time: 12.00 - 14.00 Uhr / 12pm - 2pm
Ort / Location: Gebäude C5 3 / Raum 2.06

Die Gerechtigkeit gilt seit der Antike als eine der zentralen Tugenden des Menschen und als eine der wichtigsten Eigenschaft eines Staates. Nur: Worin besteht überhaupt die Gerechtigkeit? Und wie können ihre Regeln bestimmt und begründet werden?

Auf diese Fragen geben verschiedene Theorien der Gerechtigkeit verschiedene Antworten. Im Seminar beschäftigen wir uns unter anderen mit egalitaristischen Theorien. Wie ihr Name schon verrät, identifizieren diese Theorien eine gerechte Verteilung mit einer gleichen Verteilung. Doch die Frage, was es überhaupt ist, das gleich zu verteilen ist, beantworten verschiedene egalitaristische Theorien noch immer verschieden – ebenso wie die Frage, was genau es heißt, es gleich zu verteilen. Heißt es, bestimmte Dinge so zu verteilen, dass alle einen gleich großen Anteil daran haben? Oder reicht es etwa, dass alle die gleichen Chancen haben, bestimmte Dinge zu erlangen? Und welche Rolle spielt gegebenenfalls die Eigenverantwortung?

Und dann: Was spricht dafür und was dageben, Gerechtigkeit in irgendeiner Form überhaupt mit Gleichheit zu identifizieren?

Diese und weitere Fragen werden uns auf verschiedenen Ebenen beschäftigen: angefangen bei der Verteilung eines Kuchens bis hin zur supranationalen Ebene. Die Texte, die wir dazu lesen, sind teils klassische und teils zeitgenössische, und viele davon sind auf Englisch.

Wie jedes Seminar lebt auch dieses von ihrer aktiven Teilnahme. Sie sollten deshalb nur dann mitmachen, wenn Sie bereit sind, die zugrunde liegenden Texte in Vorbereitung auf die Sitzungen zu lesen und sich in den Sitzungen an den Diskussionen zu beteiligen, sprich: auf Fragen zu antworten und mit eigenen Fragen aufzuwarten.

Wenn Sie sich schon vorab ein wenig schlau machen möchten, können Sie den Artikel „Distributive Justice” in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (http://plato.stanford.edu/entries/justice-distributive/) lesen oder auch einen Blick in (Sammel-)Bände werfen:

Christoph Horn und Nico Scarrano (Hrsg.): Philosophie der Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 2002.

Angelika Krebs (Hrsg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt a.M. 2002.

David Schmidtz: Elements of Justice, Cambridge 2006.

Bitte beachten Sie auch: Alle Änderungen und alle zusätzlichen Informationen werden über Moodle und oft auch nur über Moodle bekannt gegeben. Was Sie andernorts über das Seminar lesen, könnte also nicht mehr aktuell sein.

Dienstag
Zeit: 16.00 -18.00 Uhr
Ort: wird noch bekannt gegeben