Gewalttätige Jugendbanden, brennende Autos, überforderte Sicherheitskräfte, interkulturelle Konflikte, Drogen und Arbeitslosigkeit beherrschen das nachhaltig medial vermittelte Bild der Banlieue nicht erst seit den Unruhen des Jahres 2005.
In diesem Proseminar soll ein differenzierterer Blick auf die sog. Problemviertel angestrebt werden, wobei wir historische, soziologische und kulturwissenschaftliche Herangehensweisen eng miteinander verzahnen:
In einem ersten Schritt soll die städtebauliche und sozio-ökonomische Entwicklung der Banlieues in historischer Perspektive und auf einer breiten Quellenbasis (Presse, Politikerreden, Dokumentarfilm, Kartenmaterial) nachgezeichnet werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Lebenswelten in der Banlieue weitaus heterogener sind als dies in der einseitig auf die cités und grands ensembles beschränkten medialen Wahrnehmung suggeriert wird. Ein Schwerpunkt innerhalb dieser historischen Perspektive soll auf der Betrachtung von urbanistischen Projekten liegen, die in den 1960er und 70er Jahren ganz im Zeichen einer Sozialutopie standen, z.B. die sog. villes nouvelles. Gleichzeitig soll versucht werden, die wesentlichen Entwicklungen nachzuzeichnen, die spätestens in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren dazu geführt haben, dass sich hier Segregationstendenzen verstärkten und die grands ensembles vom Ort des sozialen Fortschritts zur Problemzone wurde. In diesem Zusammenhang sollen urbanistische oder quartiersbezogene Fördermaßnahmen kritisch betrachtet werden.
Darauf aufbauend sollen sodann in einem zweiten Schritt medial vermittelte Bilder der Banlieue in den Blick genommen werden. Dies umfasst einerseits die Untersuchung von kulturellen Artikulationsformen, die in der Banlieue entstehen und identitätsstiftende Selbstbilder dieses urbanen Raumes erschaffen, z.B. Rap, cinéma beur, Autobiografie. Andererseits geht es um den Blick auf die Banlieue, etwa in der Presse, in Radio- und TV-Formaten, Blogs, BD, Fotografie, aber auch in fiktionalen Gattungen (Roman, Spielfilm). Die Banlieue ist mithin nicht nur sozialer Brennpunkt, sondern auch ein Ort, an dem oder über den Kulturen und Identitäten immer neu verhandelt werden.
- DozentIn: Florian Henke