Willensmängel und Anfechtung

Geheimer Vorbehalt, Scheinerklärung, Scherzerklärung

Geheimer Vorbehalt

"Eine Willenserklärung ist nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen" (§ 116 Satz 1 BGB). Legt man die obigen Ausführungen zur Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach §§ 133, 157 BGB zugrunde, dann bringt das BGB, wie Larenz formuliert, mit dieser Vorschrift über den geheimen Vorbehalt lediglich eine "Selbstverständlichkeit" zum Ausdruck. Allerdings war diese für uns heute dogmatisch konsequente Vorschrift zur Zeit der Entstehung des BGB nicht unumstritten, da sie als Widerspruch zur "Willenstheorie" und damit zur Privatautonomie gewertet wurde. Dies wird nur verständlich vor dem Hintergrund eines einseitig individualistisch-liberalen Verständnisses von Privatautonomie. Akzeptiert man dagegen, dass Privatautonomie neben rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung auch Verantwortung und Vertrauensschutz umschließt, dann erscheint § 116 Satz 1 BGB keineswegs als Widerspruch zum Leitgedanken der Privatautonomie.

Der geheime Vorbehalt ist vom Fehlen des Erklärungsbewusstseins deutlich zu unterscheiden, denn wer sich lediglich insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen (sogenannte Mentalreservation), handelt durchaus in dem Bewusstsein, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben, er will lediglich nicht, dass die Rechtsfolge, die seine Erklärung ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach herbeiführen soll, eintritt. Darüber hinaus muss der Erklärende wollen, dass der Erklärungsempfänger seinen Vorbehalt nicht erkennt. Dies kann man im Wege systematischer Auslegung § 118 BGB entnehmen. Demnach ist der "böse Scherz", also die Willenserklärung, die man zum Scherz abgibt, um den Erklärungsempfänger über den Mangel der Ernstlichkeit zu täuschen, ein Fall des § 116 Satz 1 BGB. § 118 BGB ist die Regelung für den "guten Scherz".

Des weiteren muss sich der Vorbehalt auf das Eingehen einer Verpflichtung beziehen; ist der Erklärende lediglich von vorneherein nicht erfüllungswillig, dann ist das zwar für die Wirksamkeit der Willenserklärung gleichermaßen unbeachtlich, jedoch folgt dies dann nicht aus § 116 Satz 1 BGB, sondern aus den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen.

Geheim ist der Vorbehalt nicht nur dann, wenn er lediglich dem Erklärenden bekannt ist. Vom Sinn und Zweck der Vorschrift her ist vielmehr für die "Geheimheit" des Vorbehalts nur erforderlich, dass er dem Erklärungsempfänger unbekannt ist. Die Kenntnis Dritter dagegen ist unbeachtlich. Der Ehemann, der sich beim Abschluss eines Kaufvertrages vorbehielt, den Vertragsschluss nicht zu wollen, ist also auch dann nach § 116 Satz 1 an den Vertrag gebunden, wenn er seiner Frau zuvor von dem Vorbehalt berichtet hatte.

Ist dem Erklärungsempfänger dagegen der Vorbehalt bekannt, ohne dass er sich gerade mit dem Erklärenden darüber einig war (vgl. § 117 Abs. 1 BGB), dann ist er nach der Wertung des § 116 Satz 2 BGB nicht schutzwürdig; die Willenserklärung ist dann nichtig.

Scherzerklärung

Bei der Scherzerklärung gibt der Erklärende ebenso wie im Falle des geheimen Vorbehalts eine Willenserklärung ab, deren Geltung er nicht will. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Erklärende bei der Scherzerklärung gerade nicht will, dass der Erklärungsempfänger seinen Vorbehalt nicht erkennt, sondern dass er vielmehr davon ausgeht, der Mangel der Ernstlichkeit seiner Erklärung werde erkannt (§ 118 BGB). Diese allgemeine Umschreibung macht auch deutlich, dass der Begriff der Scherzerklärung zu eng ist, da das Motiv für die Abgabe einer Erklärung von der in § 118 BGB umschriebenen Art nicht allein ein Scherz sein kann. Über eine Scherzerklärung hinaus kann der Mangel der Ernstlichkeit auch auf Prahlerei, Höflichkeit, Ironie oder sonstigen Motiven beruhen. Gibt der Erklärende demnach eine Willenserklärung nur zum Scherz ab in der Erwartung, dass der Erklärungsempfänger das erkennt, so handelt es sich um einen "guten Scherz", der unter § 118 BGB fällt, so dass die Willenserklärung nichtig ist. Erkennt der Erklärende daraufhin aber, dass der Empfänger seinen Scherz entgegen seiner Erwartung ernst genommen hat, so ist der Erklärende nach Treu und Glauben aus vorangegangenem Tun zur Aufklärung verpflichtet. Unterlässt er diese Aufklärung, so verwandelt sich sein "guter Scherz" bildlich gesprochen in einen "bösen Scherz", d.h. er kann sich dann nach der Wertung des § 116 Satz 1 BGB wegen seines treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB) nicht mehr auf § 118 BGB berufen. Die anfänglich nichtige Erklärung wird dann als gültig behandelt.

Gerade bei § 118 BGB liegt es nahe zu betonen, dass die Vorschrift überhaupt nur eingreift, wenn der Erklärende aus der maßgeblichen Perspektive des Empfängerhorizontes eine Willenserklärung abgegeben hat. Geht schon aus den Umständen hervor (z.B. "Vertragsangebot" eines Komödianten auf der Bühne an jemanden aus dem Publikum), so fehlt es bereits am objektiven Tatbestand einer Willenserklärung, ohne dass es noch auf § 118 BGB ankäme.

Allerdings wird § 118 BGB vielfach als systemwidrig kritisiert, weil er durch die Nichtigkeitsanordnung den Interessen des Erklärungsempfängers nicht genügend Rechnung trage. Daher wird vorgeschlagen, § 118 BGB dergestalt einschränkend auszulegen, dass er auf die Fälle beschränkt wird, in denen der Erklärende berechtigterweise davon ausgeht, dem Empfänger werde die mangelnde Ernstlichkeit seiner Erklärung auffallen. Diese Auffassung ist jedoch mit dem Gesetz nicht vereinbar, wie man § 122 Abs. 2 BGB entnehmen kann: Nach § 122 Abs. 1 BGB hat der Erklärende ebenso wie bei der Irrtumsanfechtung dem Empfänger den Schaden zu ersetzen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut; diese Verpflichtung tritt aber gemäß § 122 Abs. 2 BGB nicht ein, wenn der Geschädigte den Nichtigkeitsgrund kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). Damit geht das Gesetz eindeutig davon aus, dass es Scherzerklärungen im Sinne des § 118 BGB gibt, die der Empfänger nicht als solche erkennen kann, ohne dabei fahrlässig zu handeln, denn nur in diesem Falle gewährt es dem Empfänger Schadensersatz (§§ 118, 122 Abs. 1 BGB). Wollte man also § 118 BGB im obigen Sinne einschränkend auslegen, so wäre entgegen dem eindeutigen Wortlaut ein Schadensersatzanspruch aus § 122 Abs. 1 BGB nie gegeben. Daher ist dieser Auffassung nicht zu folgen.

Scheingeschäft

Beim Scheingeschäft gibt der Erklärende eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit dem Einverständnis des Erklärungsempfängers nur zum Schein ab ("simulierte Erklärung"). Das Scheingeschäft unterscheidet sich somit von dem Fall des vom Erklärungsempfänger erkannten geheimen Vorbehalts (§ 116 Satz 2 BGB) dadurch, dass der Erklärende sich mit dem Empfänger darüber einig ist, dass die Erklärung nicht gelten soll. Da in diesem Fall der (objektive) Bedeutungsgehalt der Willenserklärung von der Bedeutung abweicht, die beide Parteien der Willenserklärung beilegen, darf man die Parteien nach den Grundsätzen, die wir bei der Auslegung von Willenserklärungen bereits kennen gelernt haben, nicht am buchstäblichen Sinne der Erklärung festhalten, sondern muss vielmehr dem vom Erklärungsempfänger erkannten (und gebilligten) wahren Willen des Erklärenden zum Erfolg verhelfen (§ 133 BGB). Dem trägt § 117 Abs. 1 BGB dadurch Rechnung, dass er die Nichtigkeit der Scheinerklärung anordnet. Dabei muss das Scheingeschäft streng von den Treuhandgeschäften (fiduziarischen Geschäften) und den so genannten "Strohmanngeschäften" unterschieden werden. Ein Treuhandgeschäft liegt vor, wenn einem Treuhänder (Treunehmer) von einem Treugeber formell eine Rechtsmacht eingeräumt wird, die nach außen hin unbeschränkt ist, die er aber im (Innen)Verhältnis zum Treugeber nur in einer bestimmten Weise ausüben darf. Dies ist z.B. der Fall, wenn ein Schuldner seinem Freund ein Recht überträgt, um es vor dem Zugriff (der Pfändung) seiner Gläubiger zu entziehen, sich beide aber darüber einig sind, dass der Freund dem Schuldner das Recht später wieder zurück übertragen soll und dass die Nutzungen, die er aus dem Recht zieht, ebenfalls dem Schuldner gebühren sollen. Ein "Strohmanngeschäft" liegt immer dann vor, wenn jemand als Strohmann von einem "Hintermann" vorgeschickt wird, um im eigenen Namen aber für Rechnung und im wirtschaftlichen Interesse des Hintermannes ein Recht zu erwerben oder auszuüben. Der entscheidende Unterschied zwischen solchen Treuhand- oder Strohmanngeschäften und einem Scheingeschäft besteht darin, dass bei diesen Geschäften anders als beim Scheingeschäft für die Parteien gerade darauf ankommt, dass die Willenserklärung die Rechtsfolge herbeiführt, die auch ihrem objektiven Erklärungsgehalt entspricht; lediglich die mit dem Eintritt der Rechtsfolge verbundenen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Folgen sollen unterbleiben. Während die Parteien beim Scheingeschäft also den dem objektiven Erklärungsgehalt entsprechenden Rechtserfolg nicht wollen, wollen sie beim Treuhand- oder Strohmanngeschäft lediglich den mit dem Rechtserfolg verbundenen wirtschaftlichen Erfolg nicht.

Das Scheingeschäft soll oft den Rechtsverkehr über ein anderes, von den Parteien ernstlich gewolltes Rechtsgeschäft täuschen, das es verdeckt. Da die Parteien die Willenserklärung dann übereinstimmend in einem anderen Sinne verstehen, gilt nach den Grundsätzen, die wir bereits bei der Auslegung von Willenserklärungen erörtert haben, dass die von den Parteien übereinstimmend anders verstandene Falschbezeichnung dem rechtlichen Erfolg ihres wahren Willens (§ 133 BGB) nicht schadet (falsa demonstratio non nocet). Dem trägt § 117 Abs. 2 BGB Rechnung, indem er anordnet, dass, wenn durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt wird, die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung finden. Praktisch relevant wird dies häufig beim so genannten "Schwarzkauf". Hierbei handelt es sich um eine in Klausuren immer wieder gerne herangezogene Fallkonstellation, die wir im folgenden Fall etwas näher darstellen wollen:

A will das Grundstück des B zu einem bestimmten, zuvor ausgehandelten Preis kaufen. Bei dem Notar geben sie dann einen niedrigeren Kaufpreis an, da sie Grunderwerbssteuer und Notarkosten sparen wollen. Der Notar beurkundet den Grundstückskaufvertrag mit dem niedrigeren Kaufpreis. Dabei sind sich die Parteien aber einig, dass A dem B den höheren, zuvor mündlich vereinbarten Kaufpreis schulden soll. Ist zwischen A und B ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen und wenn ja mit welchem Inhalt?

Man könnte daran denken, dass der Vertrag mit dem Kaufpreis zustande gekommen ist, den der Notar beurkundet hat. Dem steht aber entgegen, dass die Parteien das Rechtsgeschäft einvernehmlich in einem anderen Sinne verstanden haben und den in der Vertragsurkunde angegebenen Kaufpreis nicht gewollt haben. Sie haben den beurkundeten Kaufvertrag einverständlich nur zum Schein geschlossen, so dass dieser nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig ist. Allerdings haben die Parteien ihre Erklärungen übereinstimmend in einem anderen Sinne verstanden, so dass der Vertrag trotz dem anders lautenden Vertragstext mit dem Inhalt, also dem Kaufpreis, zustande gekommen ist, den die Parteien ihm übereinstimmend beigelegt haben (§ 133 BGB). Die von den Parteien übereinstimmend in einem anderen Sinne verstandene Falschbezeichnung des Kaufpreises schadet also nicht ("falsa demonstratio non nocet"). A und B haben somit einen Kaufvertrag mit dem zuvor ausgehandelten, höheren Kaufpreis geschlossen. Gemäß § 117 Abs. 2 BGB finden auf diesen Kaufvertrag als durch den beurkundeten Kaufvertrag "verdecktes Geschäft" die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. Dies ist in unserem Fall die Vorschrift des allgemeinen Schuldrechts, die für alle Verträge, "durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben", die Form der notariellen Beurkundung vorschreibt (§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB). Ein Grundstückskaufvertrag, der dieser gesetzlich vorgeschriebenen Form ermangelt, ist gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig.

Wendet man diese Vorschriften auf den von den Parteien tatsächlich gewollten Kaufvertrag an, so kommt man zu dem Ergebnis, dass nur der Scheinkauf und nicht der gewollte Kaufvertrag beurkundet ist, so dass der von den Parteien gewollte Kaufvertrag nichtig ist (§§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 BGB). Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass der von den Parteien gewollte Kaufvertrag sich gemäß § 133 BGB durch Auslegung des beurkundeten Vertragstextes ergibt, so dass man vertreten könnte, es sei eben doch der von den Parteien gewollte Vertrag beurkundet. Dies wird auch in der Tat von der ganz herrschenden Meinung für den Fall der bloß auf einem Versehen beruhenden unrichtigen Beurkundung eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts so gesehen. Begründet wird dies für diesen Fall auch damit, dass bei der versehentlichen Falschbeurkundung dem Zweck der Formvorschriften, insbesondere ihrer Warnfunktion (Schutz vor der unüberlegten, übereilten Abgabe einer Willenserklärung mit weitreichenden Folgen), ja durchaus genüge getan sei, so dass die Nichtigkeitsfolge gemäß § 125 Satz 1 BGB nicht angemessen sei. Diese Argumentation könnte man durchaus auch mit guten Gründen auf den Fall der beabsichtigten Falschbeurkundung übertragen. Dennoch tut dies die ganz herrschende Meinung in Schrifttum und Rechtsprechung nicht und entscheidet demnach die Fälle der absichtlichen und der versehentlichen Falschbeurkundung unterschiedlich. Begründet wird dies damit, dass man ansonsten die gesetzlichen Formvorschriften trotz ihres zwingenden Charakters zur Disposition der Parteien stellen würde und dass man die absichtliche Falschbeurkundung sanktionieren müsse. Folgt man dieser Auffassung, dann ist der von den Parteien gewollte Kaufvertrag mit dem höheren Kaufpreis nicht beurkundet und gemäß §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 BGB nichtig. Das Ergebnis der ganz herrschenden Meinung für den Fall des Schwarzkaufes wird oft schlagwortartig in dem Satz zusammen gefasst: "Das von den Parteien gewollte Rechtsgeschäft ist nicht beurkundet, und das beurkundete Rechtsgeschäft ist von den Parteien nicht gewollt".

Wirksam wird der Schwarzkauf erst mit der Eintragung des Käufers als neuer Eigentümer in das Grundbuch (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB).
Last modified: Tuesday, 9 September 2008, 2:16 PM