Irrtumsanfechtung

Bei der Erörterung des Erklärungsbewusstseins und des Geschäftswillens sind uns schon Fälle begegnet, in denen der Erklärende objektiv etwas erklärt hat, obwohl er diese Erklärung so nicht abgeben wollte. Ein solches Auseinanderfallen der Vorstellung des Erklärenden und der Wirklichkeit nennt man Irrtum. Wie wir bereits festgestellt haben, hindert ein solcher Irrtum jedoch nicht das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung: Derjenige, der eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein abgibt und dies nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte hätte erkennen können, wird ebenso an dieser Willenserklärung festgehalten wie derjenige, der eine missverständliche Willenserklärung abgibt, die nach einer Auslegung nach dem Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB einen anderen Bedeutungsgehalt hat als den, den er ihr beilegen wollte. Allerdings legt es der Gedanke der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung nahe, dass sich der Erklärende von einer solchen seinem wahren Willen widersprechenden Willenserklärung nach Ersatz des dem Empfänger entstandenen Vertrauensschadens (§ 122 BGB) auch wieder lösen kann. Dabei hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, die Anfechtung nur in bestimmten Fällen zu eröffnen, die in den Anfechtungstatbeständen der §§ 119, 120, und 123 BGB geregelt sind. Es ist somit nicht jede irrtumsbehaftete Willenserklärung anfechtbar, sondern nur eine solche, deren Irrtum auch von den Anfechtungstatbeständen erfasst wird.

Dabei hebt das Gesetz gerade in § 119 Abs. 1 BGB darauf ab, ob dem Erklärenden der Irrtum bereits bei der Willensbildung (Motivirrtum) oder erst bei der Umsetzung des fehlerfrei gebildeten Willens in die konkrete Willenserklärung unterlaufen ist. Nur in letzterem Falle ist eigentlich der Gedanke der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung einschlägig. Daher erkennt das Gesetz die Anfechtung bei Irrtümern bei der Willensumsetzung grundsätzlich an, während es die Anfechtung bei Irrtümern bezüglich der Willensbildung grundsätzlich (Ausnahme in § 119 Abs. 2 BGB) nicht zulässt.

Diese gesetzgeberische Wertentscheidung leuchtet ein, wenn man sich einmal die Fallgestaltungen vor Augen hält, bei denen ein Motivirrtum vorliegt: Der Autokäufer, der beim Kauf eines Pkw fest davon ausgeht, dass er nächste Woche die Fahrprüfung bestehen werde und dann doch durchfällt, der Ehemann, der abends auf dem Weihnachtsmarkt einen Weihnachtsbaum ersteht und nicht weiß, dass seine Frau morgens bereits einen gekauft hat, der Student, der für das Date mit seiner Freundin zwei Kinokarten besorgt hat und dann von ihr "versetzt" wird etc. Wollte man in all diesen Fällen des Motivirrtums, in denen der Erklärende sich über einen künftigen Geschehensablauf geirrt hat, die Irrtumsanfechtung zulassen, dann würde der Rechtsverkehr einer unerträglichen Unsicherheit ausgesetzt, da dann nahezu jedes Geschäft mit dem Risiko der Anfechtung belastet wäre.

Einen Sonderfall des unbeachtlichen Motivirrtums stellt der "Rechtsfolgenirrtum" dar, bei dem sich der Erklärende über die Rechtsfolgen der von ihm abgegebenen Willenserklärung irrt. Ein Beispiel für einen solchen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum wäre, dass ein Käufer beim Kauf eines Pkw davon ausgeht, die Gewährleistungsfrist betrage fünf Jahre, während sie tatsächlich gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur zwei Jahre beträgt.

Inhalts- und Erklärungsirrtum

Der Gesetzgeber hat sich in § 119 Abs. 1 BGB darauf beschränkt, die Anfechtung in den Fällen zu eröffnen, in denen dem Erklärenden der Irrtum bei der Willensumsetzung unterläuft. Dabei unterscheidet das Gesetz den Fall, dass jemand "bei Abgabe einer Willenserklärung, über deren Inhalt im Irrtume war" (§ 119 Abs. 1 Fall 1, "Inhaltsirrtum") von dem, dass jemand "eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte" (§ 119 Abs. 1 Fall 2, "Erklärungsirrtum"). Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende etwas erklärt, was er so nicht erklären wollte, weil er sich verschreibt, verspricht oder vergreift. Bei dem Begriff Erklärungsirrtum ist allerdings Vorsicht geboten. Manche Autoren lehnen diesen Begriff zur Kennzeichnung der Fälle des § 119 Abs. 1 Fall 2 völlig ab und bevorzugen statt dessen die Begriffe "Irrung" oder "Abirrung". Den Begriff "Erklärungsirrtum" verwenden sie dann statt dessen als Oberbegriff für Inhaltsirrtum und Irrung.

Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende genau das erklärt, was er erklären will, sich aber dabei über den Sinn und die Bedeutung seiner Erklärung irrt. Ein Inhaltsirrtum kommt z.B. dann in Betracht, wenn jemand Willenserklärungen in einer Fremdsprache abgibt, die er nur unzureichend beherrscht und dabei Worte vertauscht oder wenn jemand in seiner eigenen Sprache Fachbegriffe oder Fremdwörter benutzt und sich über ihren Sinn irrt.

Beispiel: Herr A ist ein wenig geizig und möchte daher in seinem Urlaub ein kleines, preiswertes Zimmer buchen. Als er im Hotel sein Zimmer bestellt, wird er gefragt, ob er eine Suite nehmen wolle. Da Herr K meint, das sei eine etwas vornehmere Bezeichnung für die billigeren Zimmer des Hotels, bejaht er die Frage, ohne zu zögern.

Ein typischer Fall des Inhaltsirrtums ist die Annahme eines Angebots, das man falsch verstanden hat. Man will "Ich nehme an!" sagen und sagt es auch (deshalb liegt kein Erklärungsirrtum vor). Man glaubt aber, die Annahme zu einem anders lautenden Angebot abgegeben zu haben. Das ist ein Irrtum über den Inhalt der eigenen Annahmeerklärung.

Ein Unterfall des Inhaltsirrtums ist der so genannte "Identitätsirrtum". Von einem Identitätsirrtum spricht man, wenn sich eine Erklärung ihrem objektiven Erklärungsgehalt nach auf eine andere Person (error in persona) oder Sache (error in obiecto) bezieht, als der Erklärende meint. Ein typisches Beispiel hierfür ist, dass jemand einen bestimmten ihm persönlich bekannten Handwerksmeister beauftragen will, daraufhin im Telefonbuch auf dessen Namensvetter stößt, der das gleiche Handwerk betreibt, und schließlich der Büroangestellten des vermeintlich von ihm gewünschten Handwerkers den Auftrag erteilt.

Kalkulationsirrtum

Wie die vorangehenden Beispiele zeigen, sind Inhalts- und Erklärungsirrtum leicht zu erkennen und bereiten daher in der Regel auch keine größeren juristischen Probleme. Daher wollen wir uns im Folgenden einer Fallgruppe zuwenden, die regelmäßig im Zusammenhang mit § 119 Abs. 1 BGB diskutiert wird und juristisch interessanter ist: dem "Kalkulationsirrtum".

Liegt einer Willenserklärung eine fehlerhafte Berechnung (z.B. des Kaufpreises) zu Grunde, dann spricht man vom Vorliegen eines Kalkulationsirrtums. Kennzeichnend für den Kalkulationsirrtum ist demnach, dass sich der "Fehler" nicht bei der Umsetzung eines zuvor fehlerfrei gebildeten Willens einschleicht (Verkäufer vertippt sich beim Aufsetzen des Kaufvertrages mit der Schreibmaschine), sondern dass er schon im Vorfeld der Erklärungshandlung bei der Willensbildung erfolgt (Verkäufer vertippt sich beim Berechnen des Kaufpreises mit dem Taschenrechner). Demnach handelt es sich beim Kalkulationsirrtum grundsätzlich um einen unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht zur Anfechtung berechtigt. Doch gibt es Ausnahmen.

Hinsichtlich der rechtlichen Folgen eines Kalkulationsirrtums unterscheidet man danach, ob der Irrende dem Erklärungsempfänger die Berechnungsgrundlage offen gelegt hat, so dass er die Berechnung mit- und nachvollziehen konnte (offener Kalkulationsirrtum) oder ob er dies nicht getan hat (verdeckter oder interner Kalkulationsirrtum). Beim verdeckten Kalkulationsirrtum ist dem Erklärenden gemäß den vorstehenden Erörterungen ein Irrtum bei der Willensbildung im Vorfeld der Erklärungshandlung unterlaufen. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB. Der verdeckte Kalkulationsirrtum geht also einseitig zu Lasten des Erklärenden.

Beim offenen Kalkulationsirrtum jedoch liegen die Dinge schwieriger. Hier sind keine allgemeinen Lösungen möglich, vielmehr kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalles an. So kann es beim offenen Kalkulationsirrtum in Betracht kommen, dass die Parteien die Berechnungsgrundlage zum Vertragsinhalt gemacht haben. In diesem Falle ist der Rechenfehler durch Auslegung korrigierbar, wenn dies mit Hilfe der Berechnungsgrundlage möglich ist. Andererseits kann auch die Vertragsauslegung ergeben, dass der Verkäufer die Berechnungsgrundlage lediglich aus Transparenzgründen offen gelegt hat, ohne dass es dem Käufer in irgendeiner Weise darauf ankam, da dieser den Vertragsabschluss alleine von dem Endpreis abhängig machen wollte. Dann kann man gemäß §§ 133, 157 nicht davon ausgehen, dass die Parteien die Berechnungsgrundlage zum Vertragsinhalt erhoben haben. Daher ist dieser Fall dann ebenso wie der verdeckte Kalkulationsirrtum zu behandeln, d.h. dass der Rechenfehler einseitig zu Lasten des Erklärenden geht. Schließlich kann es auch in Betracht kommen, dass sich die Parteien gemeinsam über eine Berechnungsgrundlage verständigt haben (z.B. Börsenkurs einer Aktie), ohne diese zum Vertragsinhalt zu machen, und bei der Heranziehung derselben gemeinsam einem Irrtum unterliegen. Diese Fallgestaltung, die durch den gemeinsamen Irrtum der Parteien gekennzeichnet ist, wird kontrovers diskutiert, im Ergebnis aber ganz überwiegend mit Hilfe der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage gelöst, auf die wir im Verlaufe der Vorlesung noch näher eingehen werden.

Diese Abgrenzungsschwierigkeiten beim offenen Kalkulationsirrtum sollen abschließend noch einmal an dem berühmten "Rubel-Fall" des Reichsgerichts (RGZ 105, 406) veranschaulicht werden:

A gewährte dem ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen B im Jahre 1920 in Moskau ein Darlehen über 30.000 Rubel, das in Reichsmark zurückbezahlt werden sollte. Dabei vereinbarten sie, dass B dem A 7500 Reichsmark zahlen sollte, wobei sie als allgemein gültigen Umrechnungskurs 25 Pfennig pro Rubel zugrunde legten, obwohl der Rubel in Wahrheit zu einem Preis von einem Pfennig gehandelt wurde. Schuldet der B dem A wirklich 7500 Reichsmark aus Darlehen ?

Bei diesem Fall handelt es sich eindeutig um die Konstellation des offenen Kalkulationsirrtums, da der Rechenfehler nicht einseitig einer Partei unterlaufen ist, sondern auf einer Berechnungsgrundlage beruhte, die beiden Parteien bekannt war. Fraglich ist nur, ob man die Parteien an ihrer ausdrücklichen Erklärung "7500 Reichsmark" festhalten kann oder ob die Erklärung nicht von vorneherein gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen ist, dass der wahre Umrechnungskurs vereinbart ist. Für letzteres spricht, dass beide Parteien fest davon ausgingen, dass die Darlehenssumme zu dem zur Zeit geltenden Umrechnungskurs zurückgezahlt werden sollte. Da es keinem von ihnen zum Zeitpunkt der Erklärung entscheidend auf den konkreten Kurs von 25 Pfennig pro Rubel ankam, haben sie den bei Vertragsschluss geltenden Kurswert als Berechnungsgrundlage vereinbart. Nur weil sie davon ausgingen, diesen Kurswert sicher zu kennen, haben sie schon gleich die Umrechnung vorgenommen. Sie hatte eher nur klarstellenden Charakter, d.h. die Parteien hätten sie auch unterlassen, wenn ihnen klar gewesen wäre, dass sie den genauen Wert nicht kennen.

In diesem Fall kann man das Problem also schon auf der Ebene der Auslegung klären, so dass überhaupt kein Irrtum vorliegt und sich das Problem der Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB erst gar nicht stellt.

In einer Entscheidung vom 7. Juli 1998 (Aktenzeichen: X ZR 17/97) hat sich der Bundesgerichtshof grundlegend mit der Anfechtung wegen Kalkulationsirrtums auseinandergesetzt und sich gegen eine Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeiten ausgesprochen.

Die Einschaltung von Boten

Wie bereits erörtert können bei der Übermittlung einer Willenserklärung sowohl auf Seiten des Erklärenden wie auf Seiten des Empfängers "Hilfspersonen" eingesetzt werden. Daher stellt sich konsequenterweise die Frage, was geschieht, wenn sich eine solche Hilfsperson verspricht, verschreibt oder wenn sie auch nur aus Nachlässigkeit die übermittelte Erklärung unrichtig wiedergibt. Unterläuft dem Erklärungsboten ein Fehler dieser Art, so ergibt sich aus der Verteilung des Zugangsrisikos, dass der Fehler zu Lasten des Erklärenden geht, d.h. dass dieser die Erklärung so gegen sich gelten lassen muss, wie sie dem Empfänger zugegangen ist. Beauftragt also der Vater seinen Sohn damit, für den nächsten Tag in der Bäckerei einen Kirschkuchen zu bestellen, bestellt dieser jedoch, da er sich an den Auftrag nicht mehr genau erinnern kann, versehentlich einen Apfelkuchen, dann muss der Vater das Angebot "Apfelkuchen" gegen sich gelten lassen. Allerdings kann er nach § 120 BGB anfechten, da diese Vorschrift die unrichtig übermittelte Erklärung dem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Fall 2 BGB) gleichstellt. Dies ist auch folgerichtig, gibt doch der Erklärungsbote anders als ein Stellvertreter keine eigene Willenserklärung ab, sondern übermittelt nur als "verlängerter Arm des Erklärenden" dessen Willenserklärung als fremde Willenserklärung. Ein Fehler, der bei diesem Übermittlungsvorgang auftritt, ist demnach noch der Erklärungshandlung im weiteren Sinne zuzuordnen.

Tritt dagegen der Fehler beim Empfangsboten auf, dann verlagert sich das Zugangsrisiko auf den Erklärungsempfänger. Eine dem Empfangsboten fehlerfrei zugegangene Willenserklärung des Erklärenden, die dieser sodann dem Empfänger unrichtig überbringt, muss der Erklärungsempfänger somit in dem vom Erklärenden gewollten Sinne gegen sich gelten lassen. Teilt in dem obigen Beispiel etwa der Sohn der Frau des Bäckers den Auftrag seines Vaters (Kirschkuchen) fehlerfrei und verständlich mit und gibt sie nun versehentlich den Auftrag "Apfelkuchen" an ihren Mann weiter, dann geht dieser Übermittlungsfehler der Empfangsbotin zu Lasten des Bäckers. Da dann trotz des Übermittlungsfehlers dem Willen des Erklärenden voll Rechnung getragen werden kann, stellt sich das Problem einer Anfechtung durch den Erklärenden erst gar nicht. Auf von Empfangsboten verursachte Übermittlungsfehler ist § 120 BGB demnach nicht anwendbar. In diesen Fällen kommt allerdings eine Anfechtung der Erklärung des Erklärungsempfängers nach § 119 Abs. 1 Fall 1 (Inhaltsirrtum) in Betracht.

Problematisch ist jedoch, ob § 120 auch dann eingreift, wenn der Erklärungsbote die Erklärung bewusst falsch übermittelt ("Pseudobote"), wenn also etwa in unserem Beispielsfall der Sohn bewusst Apfelkuchen bestellt, weil er seinem Vater einen Streich spielen will. Ganz überwiegend wird für diesen Fall das Vorliegen einer "Übermittlung" einer fremden Willenserklärung im Sinne des § 120 BGB verneint: Der Bote überbringe dann nicht mehr die Erklärung des Erklärenden, sondern vielmehr eine eigene, die nur den Anschein einer fremden Erklärung habe. Dieser Fall sei dem Fall eines ohne Vollmacht handelnden Vertreters strukturell und von der Interessenlage her so ähnlich gelagert, dass die dafür im BGB vorgesehenen Vorschriften (§§ 177 bis 180 BGB) analog anzuwenden seien. Das bedeutet, dass die von dem Boten abgegebene Erklärung als Erklärung des Erklärenden bis zur Genehmigung durch den Erklärenden analog § 177 I BGB unwirksam (so genannte "schwebende Unwirksamkeit") ist und dass der Bote dem Erklärungsempfänger bei Verweigerung der Genehmigung analog § 179 BGB nach dessen Wahl auf Erfüllung oder Schadensersatz haftet.

Allerdings ist diese Lösung des Problems der bewussten Falschübermittlung einer Willenserklärung durch den Erklärungsboten ("Pseudobote") keineswegs unumstritten. So wird von einer Gegenansicht geltend gemacht, dass aus der Sicht der Interessen des Erklärungsempfängers kein wesentlicher Unterschied zwischen der bewussten und der unbewussten Falschübermittlung bestünde. Dabei spricht in der Tat insbesondere der beim Einsatz von Erklärungsboten so wichtige Gedanke der Risikoverteilung dafür, den Erklärenden auch an eine bewusst falsch übermittelte Erklärung zu binden: Immerhin hat derjenige, der einen Erklärungsboten beauftragt, sich diesen vorher ausgesucht und will sich überdies auch die Vorteile dieser Arbeitsteilung zunutze machen. Er steht daher dem Risiko, das er mit der Auswahl und Beauftragung des Erklärungsboten selbst gesetzt hat, deutlich näher als der Erklärungsempfänger, der mit dem Erklärungsboten eigentlich nichts zu tun hat. Spricht dann nicht vieles dafür, dem Erklärenden die vom Boten bewusst falsch übermittelte Willenserklärung als eigene Willenserklärung zuzurechnen? Oder soll man dem Erklärenden, wenn man mit Rücksicht auf den Grundsatz der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung so weit nicht gehen will, nicht zumindest analog § 122 BGB zum Ersatz des dem Erklärungsempfänger entstandenen Vertrauensschadens verpflichten?

Sowohl einer Zurechnung der vom Boten bewusst falsch übermittelten Erklärung als auch einer Haftung analog § 122 BGB steht jedoch entgegen, dass es keineswegs zwingend ist, dem Erklärenden das Risiko der bewussten Falschübermittlung zuzurechnen. Zwar ist es richtig, dass der Erklärende im Ergebnis die Falschübermittlung kausal verursacht hat, doch hat er damit dem Boten lediglich einen Anlass zur Falschübermittlung gegeben, der unter Zurechnungsgesichtspunkten irrelevant erscheint: Die "Übermittlung" einer eigenen Willenserklärung des Boten ist gerade keine Folge der Arbeitsteilung mehr, sondern unterscheidet sich im Grunde genommen durch nichts von dem Fall, dass der "Bote" ohne jeden Auftrag des Erklärenden eine angebliche Erklärung desselben überbringt. Der Zurechnung einer solchen Erklärung steht dann entgegen, dass sie in keiner Hinsicht mehr auf dem Willen des Erklärenden, sondern vielmehr allein auf dem selbständigen Entschluss des Boten beruht. Es geht aber zu weit, den Erklärenden auch für eigene Willensentschlüsse seines Boten haften zu lassen, denn mit der bewussten Falschübermittlung verwirklicht sich aus der Sicht des Erklärungsempfängers nicht das vom Erklärenden geschaffene Übermittlungsrisiko, sondern ein allgemeines Lebensrisiko. Da die vom Boten bewusst falsch übermittelte Willenserklärung dem Erklärenden somit nicht als eigene Willenserklärung zugerechnet werden kann, stellt sich somit die Frage einer Anfechtung dieser Erklärung nach § 120 BGB nicht. § 120 BGB ist somit auf den Fall des "Pseudoboten" nicht anwendbar.

Kausalzusammenhang

Bis jetzt haben wir mit dem Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Fall 1 BGB), dem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Fall 2 BGB) und dem Fall der Anfechtbarkeit wegen unrichtiger Übermittlung durch den Erklärungsboten (§ 120 BGB) Gründe kennen gelernt, bei denen der Gesetzgeber grundsätzlich die Anfechtung zulässt (Anfechtungsgründe). Das Vorliegen eines solchen Anfechtungsgrundes alleine reicht jedoch nach §§ 119, 120 BGB für die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung nicht aus. Hinzukommen muss immer noch, "dass anzunehmen ist, dass er (der Erklärende) sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde". Damit verlangt das Gesetz für die Anfechtbarkeit das Vorliegen eines Kausalzusammenhanges zwischen Irrtum und Abgabe der Willenserklärung.

Liest man den Text des § 119 Abs. 1 BGB genau, so setzt diese Vorschrift im Hinblick auf die Kausalität eine zweifache Prüfung voraus: Dabei muss man zunächst prüfen, ob der Irrtum tatsächlich für die Abgabe der irrtumsbehafteten Willenserklärung kausal war (subjektive Erheblichkeit des Irrtums) und dann in einem zweiten Schritt untersuchen, ob der Erklärende sie auch "bei verständiger Würdigung des Falles" nicht abgegeben hätte (objektive Erheblichkeit des Irrtums). An der subjektiven Erheblichkeit des Irrtums fehlt es, wenn sich der Irrtum, auf einen Umstand bezog, der dem Erklärenden eigentlich egal ist oder wenn die fehlerhafte Erklärung dem Willen des Erklärenden ebenso gut Rechnung trägt. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn A in einem Hotel das ihm von einem Freund wegen des Meerblicks und der komfortablen Ausstattung empfohlene Zimmer 12 bestellen will und versehentlich das Zimmer 21 bestellt, wobei sich bei Aufklärung des Irrtums herausstellt, dass auch Zimmer 21 über einen gleichwertigen Meerblick verfügt und dass beide Zimmer identisch ausgestattet sind. Bei der Prüfung der objektiven Erheblichkeit ist dagegen ein normativer, vom individuellen Willen losgelöster Maßstab anzulegen. Es soll dabei darauf abgestellt werden, ob der Irrende seine Erklärung bei Kenntnis des Irrtums auch dann unterlassen hätte, wenn er, wie es das Reichsgericht einmal formuliert hat, "frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen" geurteilt hätte. Demnach wäre in dem obigen Zimmerbeispiel die Anfechtung dann ausgeschlossen, wenn Herr A erklärt, er verbinde mit der Zahl 21 unangenehme Erinnerungen, da seine Ex-Frau am 21. September Geburtstag habe, und daher hätte er nie und nimmer ein Zimmer Nr. 21 gebucht.

Eigenschaftsirrtum

Nach § 119 Abs. 2 BGB gilt als Irrtum über den Inhalt der Erklärung auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Sowohl die dogmatische Einordnung als auch die Auslegung dieser Vorschrift sind in Rechtsprechung und Lehre außerordentlich umstritten. Zur Einordnung und zum besseren Verständnis dieser Auseinandersetzung eignet sich folgender Fall, der nahezu in jedem Lehrbuch angeführt wird:

Herr A sieht sich bei einem Juwelier um, da er seiner Frau einen goldenen Ring kaufen möchte. Nach ausgiebiger Suche zeigt er schließlich auf einen bestimmten Ring, den er ohne weiteres für golden hält und erklärt der Verkäuferin: "Den möchte ich kaufen". Später stellt sich heraus, dass der Ring nur vergoldet ist. Kann Herr A nach § 119 Abs. 2 BGB anfechten?

Subsumiert man Schritt für Schritt unter die Tatbestandsmerkmale des § 119 Abs. 2 BGB, dann stellt sich zunächst die Frage, ob man es sich bei dem Ring um eine "Sache" im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB handelt. Liest man die Legaldefinition zur Sache in § 90 BGB, dann scheint dies außer Frage zu stehen, denn selbstverständlich ist der Ring ein körperlicher Gegenstand. Dennoch wird der Begriff der "Sache" in § 119 Abs. 2 BGB nach allgemeiner Ansicht abweichend von der Legaldefinition des § 90 BGB ausgelegt. In umfassender Abgrenzung zum Tatbestandsmerkmal "Person" versteht man unter "Sache" jeden Geschäftsgegenstand, also etwa auch Rechte. Daher besteht z.B. ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB, wenn sich jemand über die Eigenschaft einer gekauften Forderung irrt. Da der Sachbegriff des § 119 Abs. 2 BGB demnach weiter ist als der des § 90 BGB fällt der Ring unproblematisch auch unter § 119 Abs. 2 BGB.

Des Weiteren muss der Irrtum des A sich auf eine "Eigenschaft" des Ringes beziehen. Unter Eigenschaften versteht man alle gegenwärtigen, wertbildenden Faktoren. Dazu gehören nicht nur die auf der natürlich-tatsächlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmale. Vielmehr sind Eigenschaften auch alle rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen der Person oder der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsanschauung Einfluss auf die Wertschätzung der Person oder auf den Wert der Sache haben. Allerdings müssen diese tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse in der Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen und den Gegenstand kennzeichnen oder zumindest näher beschreiben. Darüber hinaus müssen sich diese Umstände aber nach der Rechtsprechung auch noch unmittelbar auf die Bewertung auswirken. Dabei ist wichtig, dass diese Merkmale von gewisser Dauer sind. Somit sind etwa Alter, Geschlecht, Nationalität, Fremdsprachenkenntnisse oder Kreditwürdigkeit Eigenschaften einer Person im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. Geht ein Arbeitgeber dagegen beim Abschluss eines Arbeitsvertrages irrig davon aus, dass eine Frau nicht schwanger ist, dann hat er sich nicht über einen tatsächlichen dauerhaften, sondern über einen nur vorübergehenden Umstand geirrt. Er kann dann also nicht nach § 119 Abs. 2 BGB anfechten.

Beispiele für Sacheigenschaften sind die Echtheit eines Gemäldes, die Lage und die Bebaubarkeit eines Grundstücks oder das Alter eines Kraftfahrzeuges. Wenn man unter Eigenschaften alle gegenwärtigen Wert bildenden Faktoren versteht, dann ist folgerichtig der Preis, also der Wert der Sache selbst, als Summe aller Wert bildenden Faktoren keine Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. Daher kann niemand, der eine Sache kauft und später in einem anderen Geschäft das gleiche Produkt zu einem günstigeren Preis erwerben könnte, den ersten Kaufvertrag mit der Begründung anfechten, er habe die Verhältnisse am Markt falsch eingeschätzt und sich über den Wert der Kaufsache geirrt. Das Risiko, sich über die Marktverhältnisse zu irren, muss in der Marktwirtschaft jeder grundsätzlich selbst tragen.

Legt man diesen Eigenschaftsbegriff zu Grunde, dann handelt es sich bei dem Stoff, aus dem der Ring besteht, um ein gegenwärtiges Wert bildendes Merkmal, das an die natürliche Beschaffenheit des Ringes anknüpft und sich auf dessen Bewertung unmittelbar auswirkt. Die bloße Vergoldung ist somit eine Eigenschaft des Ringes.

Entscheidend für die Lösung des Falles ist nun, ob es sich bei dieser Eigenschaft auch um eine "verkehrswesentliche" Eigenschaft handelt. Was man unter dem Tatbestandsmerkmal "verkehrswesentlich" zu verstehen hat, ist außerordentlich umstritten. Dieser Streit hängt auch eng mit der dogmatischen Einordnung des Eigenschaftsirrtums zusammen. Nach der ganz herrschenden Meinung handelt es sich bei § 119 Abs. 2 BGB um einen gesetzlich geregelten Ausnahmefall zur Regel von der generellen Unbeachtlichkeit des Motivirrtums. Dies lasse sich bereits aus dem Wortlaut des § 119 Abs. 2 ableiten, wonach der Eigenschaftsirrtum als "Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt". Diese Formulierung belege, dass es sich nicht um einen Inhaltsirrtum handele, sondern um einen Motivirrtum, der lediglich in seinen Rechtsfolgen dem Inhaltsirrtum gleichgestellt werde. Wenn es sich aber beim Eigenschaftsirrtum lediglich um einen Irrtum bei der Willensbildung handelt, dann ist es für die Verkehrswesentlichkeit nicht entscheidend, ob der Erklärende seine Motive in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht hat oder nicht. Auch der Irrtum über unausgesprochene Motive führt dann zur Anfechtbarkeit, wenn sich diese Motive nur auf verkehrswesentliche Eigenschaften bezogen haben. Demnach muss die Verkehrswesentlichkeit unabhängig von den Erklärungen der Parteien, rein objektiv bestimmt werden. Für den vorliegenden Ringkauf bedeutet dies, dass die unausgesprochene Annahme des A, einen goldenen Ring zu kaufen, diesen zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigt, da die Tatsache, ob ein Ring golden oder nur vergoldet ist, beim Kauf von Schmuck im allgemeinen von ganz erheblicher Bedeutung ist.

Nach einer anderen Auffassung handelt es sich beim Eigenschaftsirrtum nicht um einen Motivirrtum, sondern um einen Inhaltsirrtum. Demnach ist es dem Erklärenden nicht gelungen, seinen Geschäftswillen zum Ausdruck zu bringen. Auf unser Beispiel vom Ringkauf übertragen bedeutet dies, dass der Käufer dadurch, dass er auf den konkreten Ring gezeigt und erklärt hat, diesen kaufen zu wollen, ein wirksames Kaufangebot über den vergoldeten Ring abgegeben hat, obwohl sein Geschäftswillen auf den Kauf eines goldenen Ringes gerichtet war. Auch nach dieser Auffassung kommt es nicht darauf an, ob der Erklärende seine Vorstellungen über die Eigenschaft der Sache zuvor in irgendeiner Weise geäußert hat - entscheidend ist allein, ob sich der von der Erklärung abweichende Geschäftswille auf eine objektiv verkehrswesentliche Eigenschaft bezogen hat. Dies haben wir hinsichtlich des vergoldeten Ringes bereits bejaht.

Die Ansicht, die den Eigenschaftsirrtum als Inhaltsirrtum einordnet, ist aber dogmatisch zu Recht unter Beschuss geraten, da sie den Erklärungsbegriff überstrapaziert: Dadurch, dass Herr A auf den vergoldeten Ring gezeigt hat, ohne sich über die von ihm gewünschte Eigenschaft zu äußern, hat er keinerlei Aussage über die Eigenschaften des Rings gemacht. Er kann sich daher auch nicht im Irrtum über den Aussagegehalt seiner Erklärung bezüglich der Eigenschaften befinden, denn er weiß, dass er insoweit nichts erklärt hat. Die Auffassung, die in § 119 Abs. 2 BGB einen gesetzlich geregelten Sonderfall des Inhaltsirrtums sieht, ist daher dogmatisch fragwürdig.

Eine vorwiegend von Flume vertretene Ansicht hält schließlich sowohl die Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB als Motivirrtum als auch die Einordnung als Inhaltsirrtum für verfehlt. Es handelt sich dieser Meinung nach vielmehr um einen Fall des Irrtums über eine nach dem Rechtsgeschäft vorausgesetzte Sollbeschaffenheit (Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum). Diese dogmatische Klassifizierung des Eigenschaftsirrtums jenseits der herrschenden Meinung hat denn auch erhebliche Auswirkungen auf die Auslegung des Merkmals der Verkehrswesentlichkeit. Demnach ist nur verkehrswesentlich, was "vertragswesentlich" oder allgemeiner gesagt "geschäftswesentlich" ist, was also für das Rechtsgeschäft als wesentlich anzusehen ist. Was geschäftswesentlich ist, beurteilt sich dabei nicht alleine nach den ausdrücklichen Vereinbarungen der Parteien, sondern nach allen für die Vertragsauslegung bedeutsamen Umständen, insbesondere also auch danach, was regelmäßig von den Parteien erwartet und daher von ihnen auch konkludent vereinbart wird. Da A keinerlei Aussagen über seine Vorstellungen bezüglich des Ringes getroffen hat, könnte sich die Vertragswesentlichkeit der von A irrig vorgestellten Eigenschaft somit nur noch aus den Umständen des Einzelfalles ergeben. Das wäre etwa dann anzunehmen, wenn der Ring zu einem derart hohen Preis angeboten worden wäre, dass man redlicherweise davon ausgehen musste, dass der Ring nicht nur vergoldet ist, oder aber wenn die Verkäuferin in dem dem Verkauf vorausgehenden Gespräch erzählt hat, dass in dem Geschäft keine vergoldeten Waren verkauft würden, so dass eine Nachfrage des A einer bloßen Förmelei gleichgekommen wäre. Da jedoch in unserem Fall solche besonderen Umstände des Einzelfalles nicht vorliegen, kann man nicht davon ausgehen, dass sich der Verkäuferin und A in unserem Beispielsfall darüber geeinigt haben, dass der Ring golden sein solle. Somit kommt nach der Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum eine Anfechtung des Herrn A nach § 119 Abs. 2 BGB nicht in Betracht.

Die Rechtsprechung hat zu diesem Streit noch nicht grundlegend Stellung genommen. Sie hat vielmehr lange Zeit mehr im Sinne der herrschenden Meinung danach gefragt, ob eine Eigenschaft unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung einer Sache habe (Kriterium der Unmittelbarkeit) und typischerweise mit dieser Sache verbunden werde (Kriterium der Typizität). Untypische Eigenschaften, die nur mittelbar für die Bewertung einer Sache ausschlaggebend seien, waren danach nur dann verkehrswesentlich, wenn die Parteien sie vereinbart hatten. In neueren Entscheidungen stellt der BGH jedoch mehr im Sinne der Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum darauf ab, ob die Eigenschaften vom Erklärenden erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden sind, ohne dass er sie geradezu zum Inhalt seiner Erklärung gemacht haben muss. Legt man letzteres hier zu Grunde, so kann man die Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft "Gold" in unserem Beispiel auch nach der Rechtsprechung verneinen. Aber auch wenn man nach Typizität und Unmittelbarkeit fragt, wird man nicht sagen können, dass ein Ring (ohne nähere Bezugnahme auf Umstände des Einzelfalles wie Preis etc.) typischerweise nicht aus Gold besteht.

Untersucht man die Argumente, die für die unterschiedlichen Auffassungen angeführt werden, dann fällt auf, dass es jenseits der dogmatischen Einordnung des § 119 Abs. 2 BGB als Motivirrtum oder als Irrtum über die Sollbeschaffenheit, im Wesentlichen darum geht, ob man aus Gründen des Verkehrsschutzes den Anwendungsbereich des Eigenschaftsirrtums einschränken soll oder nicht. Für eine solche Einschränkung und damit für die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum spricht, dass sie zu mehr Sicherheit für den Rechtsverkehr führt, da sie es vermeidet, dass man die Anfechtung eines Rechtsgeschäftes auf unausgesprochene Vorstellungen stützen kann. Der Empfänger einer Willenserklärung soll davor geschützt werden, dass der Erklärende die Anfechtung später auf Umstände stützen kann, die für ihn gar nicht erkennbar waren. Damit wird auch dem Prinzip der Privatautonomie Rechnung getragen, da es für die Anfechtung nur auf solche Umstände ankommt, die die Parteien selbst für wichtig gehalten haben. Diesen eher rechtspolitischen Argumenten ist jedoch entgegnet worden, dass sie den Wortlaut des § 119 Abs. 2 BGB beiseite schöben, der gerade von "Verkehrswesentlichkeit" spricht und damit nicht auf den Parteiwillen, sondern mehr auf objektive Umstände abstellt. Hinzu kommt, dass der Vertrauensschutz durch einen weiteren Anwendungsbereich des § 119 Abs. 2 BGB keineswegs unerträglich vernachlässigt wird, da dem Anfechtungsgegner ja durch § 122 BGB in jedem Falle der Vertrauensschaden ersetzt wird. Im übrigen führt die Deutung des § 119 Abs. 2 BGB als ein Irrtum über die Sollbeschaffenheit wegen der vielen vorrangigen Gewährleistungsregeln des Besonderen Teils, die in ihrem Anwendungsbereich § 119 Abs. 2 BGB verdrängen, entgegen der Absicht des Gesetzgebers dazu, dass § 119 Abs. 2 BGB kaum noch zur Anwendung kommt. Schließlich wird gegen die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum eingewandt, dass sie dogmatisch nicht überzeugen könne, da sie § 119 Abs. 2 BGB nicht gerecht werde, der einen Irrtum und nicht den Fall regele, dass ein auf "willensmängelfreien" Erklärungen beruhender Vertrag nicht durchgeführt werden kann, da Rechtsgeschäft und Willenserklärung nicht übereinstimmen: Damit wird eine Regelung der Irrtumsanfechtung in eine Regelung über Leistungsstörungen umgedeutet. Insgesamt sprechen daher die besseren Argumente dafür, die Verkehrswesentlichkeit objektiv zu verstehen und damit unabhängig von den Vereinbarungen der Parteien aus der Sicht der Kreise, denen Erklärender und Erklärungsempfänger angehören, zu beurteilen.

Folgt man mit obiger Begründung der herrschenden Meinung, die den Begriff der Verkehrswesentlichkeit objektiv versteht, dann hätte sich Herr A in unserem Beispielsfall bei der Abgabe seines Kaufangebotes über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Kaufgegenstandes geirrt. Das alleine würde jedoch noch nicht für eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB ausreichen, denn durch die Verweisung auf den Inhaltsirrtum wird sichergestellt, dass auch beim Eigenschaftsirrtum das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes alleine nicht ausreicht. Vielmehr muss auch hier der Irrtum subjektiv und objektiv erheblich sein. Da jedoch Herr A das Kaufangebot nie abgegeben hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Ring nur vergoldet ist und dies auch nicht als eigensinnig und launenhaft zu bewerten wäre, war sein Irrtum für die Abgabe seines Angebotes subjektiv und objektiv erheblich. Damit könnte Herr A sein Angebot gestützt auf § 119 Abs. 2 BGB anfechten.

Verdrängung des § 119 Abs. 2 BGB durch spezielle Vorschriften des Besonderen Schuldrechts

Allerdings kann die Anfechtung selbst dann, wenn die Voraussetzungen des § 119 Abs. 2 BGB erfüllt sind, durch vorrangige Regelungen des Besonderen Schuldrechts ausgeschlossen sein.

Besonders wichtig ist hierbei das Verhältnis des § 119 Abs. 2 BGB zu den kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften der §§ 434 ff. BGB: Würde man beim Kaufvertrag nach Gefahrübergang (in erster Linie: Übergabe der verkauften Sache oder nach Eintragung des verkauften Grundstücks im Grundbuch (§ 446 BGB)) die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB unbeschränkt zulassen, dann könnten dadurch die speziellen Vorschriften über die Sachmängelgewährleistung (§§ 434 ff. BGB) ausgehebelt werden. Das würde etwa bedeuten, dass die Verjährungsfristen des § 438 BGB unterlaufen werden könnten. Des Weiteren könnte § 442 Abs. 1 Satz 2 BGB umgangen werden, der die Haftung des Verkäufers für Sachmängel bei grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Käufers regelmäßig ausschließt. Vor allem aber könnte sich der Käufer ohne Weiteres durch Anfechtung vom Vertrage lösen, während das Sachmängelrecht die Lösungsmöglichkeit (durch Rücktritt) an das Scheitern des vorrangig gegebenen Nacherfüllungsanspruchs knüpft. Daher wird § 119 Abs. 2 BGB nach allgemeiner Ansicht beim Vorliegen eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB durch die spezielleren §§ 434 ff. BGB verdrängt. Das bedeutet aber auch, dass § 119 Abs. 2 BGB nicht grundsätzlich auf die Anfechtung des Käufers unanwendbar ist. Dies kann man gerade an unserem Beispielsfall zum Ringkauf deutlich machen: Da sich der Herr A und die Verkäuferin nicht darauf geeinigt hatten, dass der Ring golden sein sollte und da der Ring auch nicht qualitativ minderwertig war, war er nicht mit einem Fehler i.S. des § 434 Abs. 1 BGB behaftet. Der Irrtum des Herrn A bezog sich demnach nicht auf einen Sachmangel i.S. des § 434 BGB. Die Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB war daher in unserem Ausgangsfall nicht durch das kaufrechtliche Mängelrecht ausgeschlossen.

Auch der Verkäufer kann wegen eines Sachmangels den Kaufvertrag nicht gemäß § 119 Abs. 2 BGB anfechten, da er mit der Anfechtung die Rechte des Käufers wegen des Sachmangels vereiteln und sich seiner Haftung entziehen würde.

Ein weiterer wichtiger Fall, in dem die Anfechtung durch Vorschriften des besonderen Falls ausgeschlossen ist, ist der Irrtum des Bürgen über die Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Um dies zu verstehen, muss man kurz den Bürgschaftsvertrag nach § 765 BGB umreißen. Die Bürgschaft ist eine Personalsicherheit, die zur Kreditsicherung eingesetzt wird. Sie kommt also dann in Betracht, wenn der Schuldner S dem Gläubiger G etwas schuldet oder wenn G dem S einen Kredit gewähren soll und G befürchtet, dass S nicht in der Lage sein könnte, ihm die geschuldete Summe zurückzuzahlen. In diesem Falle wird G Sicherheiten verlangen. Als eine solche Sicherheit kommt die Bürgschaft in Betracht. Dabei wird sich S an einen ihm bekannten Dritten, den Bürgen, wenden und ihn bitten, für ihn zu bürgen, d.h. mit G einen Vertrag abzuschließen, in dem er sich G gegenüber verpflichtet, für die Schuld des S mit seinem persönlichen Vermögen zu haften. Bestätigen sich dann die Ängste des G, dann kann dieser auf den Bürgen als weiteren Schuldner zurückgreifen. Aus dem Sinn und Zweck dieses im Besonderen Schuldrecht geregelten Vertrages folgt aber, dass es dem Bürgen verwehrt sein muss, seine Bürgschaftserklärung gegenüber G gemäß § 119 Abs. 2 BGB mit der Begründung anzufechten, er habe sich über die Zahlungsfähigkeit des S getäuscht, denn der Sinn der Bürgschaft besteht ja gerade darin, dass der Bürge dem Gläubiger das Risiko der Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners abnimmt.

Der beiderseitige Irrtum

Bisher sind wir ausschließlich Fällen begegnet, bei denen nur eine Partei dem Eigenschaftsirrtum unterlegen ist. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass sich beide Parteien bei Vertragsschluss über dieselbe verkehrswesentliche Eigenschaft irren. Es ist heftig umstritten, ob § 119 Abs. 2 BGB auch auf solche Fälle des beiderseitigen Irrtums anwendbar ist.

Gegen die Anwendbarkeit des § 119 Abs. 2 BGB auf diese Fallkonstellationen ist angeführt worden, dass § 119 Abs. 2 BGB ausschließlich den einseitigen Irrtum regele. Für den Fall des beiderseitigen Irrtums fehle es daher an einer gesetzlichen Regelung im BGB. Danach muss man zur Ausfüllung dieser Gesetzeslücke auf die von Rechtsprechung und Lehre auf der Grundlage von § 242 BGB entwickelte (seit dem 1. Januar 2002 in § 313 BGB geregelte) Lehre von der Geschäftsgrundlage zurückgreifen, deren Anwendung anders als die Anfechtung in erster Linie den Bestand des Vertrages unangetastet lässt und lediglich zur Vertragsanpassung führt. Für die Unanwendbarkeit des § 119 Abs. 2 BGB auf den Fall des beiderseitigen Irrtums wird auch geltend gemacht, dass die Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB hier unbillig sei, da es letztlich auf Zufall beruhe, welcher der beiden Irrenden anfechte und damit zum Ersatz des Vertrauensschadens nach § 122 BGB verpflichtet werde. Dieser Billigkeitserwägung kann man allerdings entgegenhalten, dass es auch beim beiderseitigen Irrtum keineswegs unbillig erscheint, den Anfechtenden zum Ersatz des Vertrauensschadens zu verpflichten, denn anfechten wird von den beiden immer derjenige, für den der Irrtum nachteilig war. Demjenigen, der aus der Anfechtung einen Vorteil zieht, ist es aber durchaus zuzumuten, dem Anfechtungsgegner diesen Vorteil zu "bezahlen".

Zur Verdeutlichung dessen braucht man unseren Beispielsfall über den Ringkauf nur so abzuwandeln, dass auch die Verkäuferin davon ausging, der Ring sei golden. Als sich dies später herausstellt, will die Verkäuferin an dem Geschäft festhalten, da es für sie günstig war. Herr A ficht aber an. Es erscheint dann aber nicht unbillig, wenn er dem Juwelier nach § 122 den Vertrauensschaden ersetzt. Des weiteren lässt sich auch weder aus dem Wortlaut, noch aus der systematischen Stellung des § 119 Abs. 2 BGB herleiten, dass er nicht auch den Fall des beiderseitigen Irrtums erfasse.

Allerdings muss noch ein Weiteres bedacht werden. Während beim einseitigen Irrtum die kaufrechtlichen Mängelregeln nicht eingreifen, weil der Kaufgegenstand nicht als goldener verkauft worden ist, sieht das beim beiderseitigen Irrtum möglicherweise anders aus. Wenn über die Eigenschaft gesprochen worden und der Ring damit als golden verkauft worden ist, dann weist der bloß vergoldete Ring einen Mangel im Sinne des § 434 BGB auf. Es greifen die Gewährleistungsregeln, und aus diesem Grunde scheidet die Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB aus. Wenn allerdings nicht über die Eigenschaft gesprochen worden ist, dann fehlt es an einem Anhaltspunkt für eine Vereinbarung "golden" und damit für die Abweichung der Istbeschaffenheit von der Sollbeschaffenheit (Fehlerbegriff). Hier ist der Weg zur Anfechtung geöffnet.

Last modified: Friday, 10 December 2010, 2:19 PM