Täuschung und Drohung

Durch das Gestaltungsrecht der Anfechtung soll der Erklärende davor geschützt werden, an Willenserklärungen festgehalten zu werden, die an Willensmängeln leiden. Dahinter steht der Leitgedanke der Privatautonomie. Dabei kann die Ursache der Willensmängel im Bereich des Erklärenden oder aber im Bereich des Erklärungsempfängers oder eines Dritten liegen. Liegt die Ursache in der Sphäre des Erklärenden selbst, weil er oder sein Erklärungsbote sich verspricht oder vergreift oder weil er über die Bedeutung seiner Erklärung oder über verkehrswesentliche Eigenschaften irrt, dann ist einer der uns bereits bekannten Tatbestände der §§ 119, 120 BGB einschlägig. Der Erklärende kann dann seine Erklärung zwar anfechten, muss dem Empfänger aber unter den Voraussetzungen des § 122 BGB den Vertrauensschaden ersetzen. Da der Erklärende für den Irrtum "verantwortlich" ist, muss er überdies auch, nachdem er von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat, ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) anfechten (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Die Ursache für den Willensmangel muss aber nicht beim Erklärenden liegen. Dieser kann etwa auch durch arglistige Täuschung des Erklärungsempfängers oder durch widerrechtliche Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden sein. Diese Fälle, bei denen es um den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entschließungsfreiheit des Erklärenden geht, sind in § 123 BGB erfasst. Hier ist der Erklärende selbst "Opfer" und daher schutzwürdiger als der Erklärungsempfänger, so dass eine Verpflichtung des Anfechtenden zum Ersatz des Vertrauensschadens im BGB nicht vorgesehen ist. Auch ist die Anfechtungsfrist aus diesen Gründen großzügiger bemessen: Hat der Getäuschte die Täuschung entdeckt oder hat im Falle der Drohung die Zwangslage aufgehört, so kann der Getäuschte oder Bedrohte sich immer noch ein Jahr lang überlegen, ob er die Willenserklärung anfechten will oder nicht (§§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB).

Zu Täuschung und Drohung allgemein Petersen, Jens, Täuschung und Drohung im Bürgerlichen Recht, Jura 2006, 904-908.

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I 1. Alt. BGB)

Zunächst einmal setzt § 123 I 1. Alt. BGB eine Täuschungshandlung voraus. Diese kann sowohl in einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung als auch in einem Verschweigen von Tatsachen trotz Bestehen einer Offenbarungspflicht bestehen. Entscheidend ist dabei nur, dass über Tatsachen getäuscht wird, also über Umstände, die anders als Werturteile oder Meinungsäußerungen, objektiv nachprüfbar und einem Beweis zugänglich sind. Diese Unterscheidung zwischen Tatsachen und Werturteilen wird insbesondere bei so genannten "reklamehaften Anpreisungen" relevant.

Beispiel: Ein Schokoladenfabrikant wirbt damit, bei seinem Produkt handele es sich um die "längste Praline der Welt"; eine bestimmte Rumsorte wird damit umworben, bei ihrem Genuss fühle man sich "wie in der Karibik". Kann ein Käufer dieser Produkte später den Kaufvertrag mit der Begründung anfechten, er habe inzwischen längere Pralinen gefunden oder er habe sich bei dem Genuss des Rums an alles nur nicht an die Karibik erinnert gefühlt?

Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob über Tatsachen getäuscht wurde. Dabei darf man sich nicht in jedem Fall damit begnügen, festzustellen, es sei das Vorliegen einer Tatsache behauptet worden. Denn, ob etwa wie in unserem Beispiel eine Pralinensorte tatsächlich "die längste Praline der Welt" ist, ließe sich - wenn man sich vorher über den Begriff "Praline" verständigt hat - unter Umständen objektiv nachprüfen. Jedoch muss man dabei berücksichtigen, dass unsere Wirtschaftsordnung auf Werbung für Konsumprodukte angewiesen ist und dass in der Werbung naturgemäß mit Anpreisungen gearbeitet wird. Sind diese so gehalten, dass ihr Reklamecharakter offensichtlich hervortritt und sie von keinem vernünftigen Menschen als Tatsachenbehauptungen Ernst genommen werden, wie dies etwa in unseren Beispielsfällen der Fall ist, dann müssen sie doch dem Kontext der Erklärung nach als bloße Meinungsäußerungen gewertet werden. Dementsprechend scheidet also in unseren Beispielen eine Anfechtung aus.

Während man eine Täuschung mittels ausdrücklicher oder konkludenter Erklärung meist ohne Weiteres feststellen kann, bereitet es häufig Schwierigkeiten, zu entscheiden, ob eine Täuschung durch Unterlassen vorliegt. Dies liegt darin begründet, dass das Verschweigen einer Tatsache nur bei Eingreifen einer Offenbarungspflicht (Aufklärungspflicht) eine Täuschung darstellt und dass diese Pflicht auch nirgendwo ausdrücklich geregelt ist. Nach der Rechtsprechung besteht eine Rechtspflicht zum Reden, wenn "Treu und Glauben nach der Verkehrsauffassung das Reden erfordern, der andere Teil nach den Grundsätzen eines reellen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten durfte". Wann das der Fall ist, entzieht sich naturgemäß einer allgemeinen Aussage und ist vielmehr von den Umständen des Einzelfalles abhängig, wobei es insbesondere auf Charakter und Art der Geschäftsbeziehungen ankommt. Dabei unterscheidet man grundsätzlich besondere Treue- oder Vertrauensverhältnisse (z.B. aufgrund langjähriger vertrauensvoller Geschäftsverbindung, von Dauerschuldverhältnissen mit engem persönlichem Kontakt oder familiärer Verbundenheit), die in der Regel eine Aufklärungspflicht nach sich ziehen, und Umsatzgeschäfte (wie z.B. Kaufverträge), bei denen dies in der Regel nicht der Fall ist.

Diese Unterscheidung knüpft an den natürlichen Interessengegensatz zwischen Käufer und Verkäufer an, der in einer Marktwirtschaft nicht durch überzogene Offenbarungspflichten aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. Andererseits kann dieser Interessengegensatz auch kein Freibrief dafür sein, den Käufer zu einem Vertragsschluss bewegen zu dürfen, den dieser erkennbar nicht will oder der dessen erkennbaren Interessen zuwiderläuft. Daher besteht auch bei Kaufverträgen eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können und die für den Entschluss des Vertragspartners erkennbar von wesentlicher Bedeutung waren. Dies bejaht die Rechtsprechung etwa beim Verkauf gebrauchter Pkws, die in einen Unfall verwickelt waren. Sie verlangt in diesen Fällen von dem Verkäufer dem Käufer selbst dann ungefragt mitzuteilen, dass der Wagen in einen Unfall verwickelt war, wenn bei diesem Unfall lediglich Blechschäden aufgetreten sind und sich der Reparaturaufwand nur auf einige hundert Euro belaufen hat. Im Übrigen kann bei Umsatzgeschäften wie dem Kaufvertrag eine Offenbarungspflicht für den Verkäufer auch daraus erwachsen, dass der Kunde erkennbar in geschäftlichen Dingen unerfahren ist oder auf die besondere Fachkunde des Verkäufers vertraut.

Vergleicht man die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 I 1. Alt. BGB) und einer Anfechtung wegen Drohung (§ 123 I 2. Alt. BGB), so fällt auf, dass das Gesetz nur im Falle der Drohungsanfechtung Widerrechtlichkeit verlangt. Dies hängt damit zusammen, dass die Verfasser des BGB selbstverständlich davon ausgingen, dass eine Täuschung immer widerrechtlich sei. Dabei hat der Gesetzgeber aber übersehen, dass die Täuschung zwar die Rechtswidrigkeit indiziert, dass dieses Indiz aber durch Rechtfertigungsgründe (wie z.B. §§ 227 ff., 859 f. BGB) ausgeräumt werden kann. Daher muss man auch bei der Täuschungsanfechtung immer prüfen, ob die Täuschung widerrechtlich ist. Dies spielt vor allem dann eine Rolle, wenn der Erklärende auf Fragen seines Vertragspartners antwortet. Ist dabei eine Frage unzulässig, dann ist ihre wahrheitswidrige Beantwortung durch Notwehr gerechtfertigt (§ 227 BGB); die darin liegende Täuschung ist nicht widerrechtlich. Aus der wahrheitswidrigen Beantwortung einer unzulässigen Frage kann demnach kein Anfechtungsrecht hergeleitet werden. Der Erklärende hat dann praktisch ein "Recht zu lügen".

Besonders häufig taucht dieses Problem beim Abschluss von Arbeitsverträgen auf. Hier muss man dann bei der Beurteilung, ob eine Frage zulässig ist, die Interessen des Arbeitgebers daran, zu ermitteln, ob der Erwerber seinen Vorstellungen entspricht, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (Art. 2 I, 1 I GG) abwägen. Dabei ergibt sich, dass Fragen, die den Intimbereich des Arbeitnehmers berühren, grundsätzlich ebenso unzulässig sind wie Fragen nach der Konfession oder der Parteizugehörigkeit (Ausnahmen: Tendenzbetriebe wie z.B. kirchliche Einrichtungen). Auch die Frage nach der Schwangerschaft oder der Familienplanung einer Bewerberin ist wegen der Regelungen im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz unzulässig und darf von dieser wahrheitswidrig beantwortet werden.

Ebenso wie beim Erklärungs- und Inhaltsirrtum verlangt § 123 BGB Kausalität des Anfechtungsgrundes für die Abgabe der Erklärung. Erforderlich ist demnach, dass die Täuschung zu einem Irrtum des Getäuschten und dieser wiederum zur Abgabe der Willenserklärung geführt hat. Daran fehlt es, wenn der "Getäuschte" tatsächlich den wahren Sachverhalt erkennt, nicht jedoch, wenn er ihn nur unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Auch wenn es der Getäuschte dem Täuschenden durch Sorglosigkeit oder Leichtgläubigkeit besonders leicht macht, ist dieser zur Anfechtung berechtigt. Im Unterschied zu §§ 119, 120 kommt es aber für die Kausalität nur auf die subjektive Erheblichkeit an. Es darf also nur geprüft werden, ob der Getäuschte die Erklärung auch in Kenntnis der Sachlage abgegeben haben würde und nicht auch, ob er sie "bei verständiger Würdigung des Einzelfalles" nicht abgegeben hätte.

Schließlich muss die Täuschung "arglistig" gewesen sein. Dabei stellt sich die Frage, was man unter dem in der heutigen Alltagssprache kaum mehr gebrauchten Begriff der Arglist zu verstehen hat. Heute ist man sich im Hinblick auf den Zweck des § 123 I BGB, die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit zu schützen, weitgehend einig, dass es für die "Arglist" weder auf die Gesinnung noch auf eine Vermögensbeschädigungsabsicht ankommt, sondern dass "Arglist" vielmehr mit "Vorsatz" gleichzusetzen ist. Unter Vorsatz versteht man die wissentliche und gewollte Tatbestandsverwirklichung. Der Täuschende muss also wissen und wollen, dass sich ein anderer infolge seiner Täuschung irrt und durch diesen Irrtum zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt wird. Hierbei reicht es hinsichtlich der Wollenskomponente allerdings bereits aus, dass der Täuschende mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) handelt, wenn er es also ernstlich für möglich hält, dass sein Gegenüber täuschungsbedingt irrt und er sich damit abgefunden hat. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein Verkäufer ohne genauere Kenntnisse über den Kaufgegenstand, also gleichsam "ins Blaue hinein", Erklärungen abgibt.

Beispiel: Der Autohändler behauptet auf die Frage seines Kunden, ob das Fahrzeug unfallfrei sei, dies sei der Fall, ohne dass er dies genau weiß und ohne dass er das Fahrzeug hat untersuchen lassen.

Die Beteiligung mehrerer Personen

Bisher haben wir uns ausschließlich mit dem Fall beschäftigt, an dem zwei Personen beteiligt waren: der getäuschte Erklärende und der täuschende Erklärungsempfänger. Schwieriger wird die Sache dann, wenn man es im Rahmen der Täuschungsanfechtung mit mehreren Beteiligten zu tun bekommt, da dann dem Interesse dem Getäuschten, von seiner Erklärung loszukommen, unter Umständen der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers entgegenstehen kann. Dieses Problem spielt naturgemäß lediglich bei nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen keine Rolle: Sie sind bei arglistiger Täuschung des Erklärenden immer anfechtbar, wer auch die Täuschungshandlung begangen hat.

Zunächst einmal wollen wir die Betrachtung auf die Situation ausdehnen, dass an dem Geschehen drei Personen beteiligt sind: Täuschender, Erklärender und Erklärungsempfänger. Hier kann aus Vertrauensschutzgründen die Erklärung nur anfechtbar sein, wenn der Erklärungsempfänger nicht schutzwürdig ist. Daher bestimmt das BGB in § 123 II 1: "Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste".

Danach ist der Erklärungsempfänger nur in zwei Fällen nicht vor einer Anfechtung geschützt:

  1. Der Erklärungsempfänger kennt die Täuschung oder hätte sie zumindest bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können.
  2. Die Täuschung wurde zwar durch eine andere Person verübt, die aber nicht "Dritter" im Sinne des § 123 I BGB ist.

Schwierigkeiten bereitet lediglich der zweite Fall, da man hier durch die Auslegung des Tatbestandsmerkmales "Dritter" trennscharf festlegen muss, inwieweit sich der gutgläubige Erklärungsempfänger die Täuschungshandlungen anderer Personen zurechnen lassen muss.

Hierbei greift man allgemein auf einen Grundgedanken zurück, der das gesamte Privatrecht prägt: Da unsere Wirtschaftsordnung auf Arbeitsteilung ausgerichtet und angewiesen ist, die Arbeitsteilung also erlaubt und erwünscht ist, muss sich derjenige, der sich der Hilfe anderer bedient, auch deren (Fehl-)Verhalten zurechnen lassen. Daher muss sich der Erklärungsempfänger in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 278 BGB und des § 166 BGB Täuschungshandlungen seiner Stellvertreter und anderer Hilfspersonen, die mit Wissen und Wollen des Erklärungsempfängers als Verhandlungs- oder Abschlussgehilfen (z.B. ein Mitarbeiter des Erklärungsempfängers bereitet den späteren Vertragsschluss vor) in die Verhandlungen eingeschaltet sind, zurechnen lassen. Darüber hinaus wird auch darauf abgestellt, dass der Täuschende Vertrauensperson des Erklärungsempfängers ist oder "auf Seiten (im Lager) des Erklärungsempfängers steht". Allerdings lassen sich diese Zurechnungskriterien nicht am Gesetz festmachen und erscheinen auch bedenklich unbestimmt, so dass es vorzugswürdig ist, alleine auf den Rechtsgedanken des § 278 BGB als Zurechnungskriterium abzustellen. Veranschaulichen lassen sich diese Gedanken nochmals zusammenfassend an folgendem Fall (angelehnt an BGH LM § 123 Nr. 30 = NJW 1962, 2195 f.):

S bittet G um ein Darlehen. Dieser verlangt von S Sicherheiten. Da S selbst über kein nennenswertes Vermögen verfügt, bittet S seinen Bekannten B um eine Bürgschaft. Dabei schwindelt er B ein erhebliches Vermögen vor, um diesen dadurch zur Übernahme der Bürgschaft zu veranlassen. Daraufhin schließt B mit G einen Bürgschaftsvertrag. Als G den B aus der Bürgschaft in Anspruch nehmen will, erklärt B dem G gegenüber die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

Da S den B vorsätzlich über die Tatsache seiner Vermögenslosigkeit getäuscht hat, kann B seine Willenserklärung gegenüber G nach § 123 I 1. Alt. BGB anfechten, wenn S nicht "Dritter" im Sinne des § 123 II 1 BGB ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich G die Täuschungshandlung des S zurechnen lassen muss. Stellt man darauf ab, ob der Täuschende im Lager des Erklärungsempfänger steht, dann könnte man bei abstrakter Betrachtung der Interessenlage (also ohne auf die persönlichen Beziehungen der Parteien im Einzelfall abzustellen) vertreten, dass sich aus "der Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten" ergibt, dass S im Lager des G steht, so dass dieser sich dessen Täuschung zurechnen lassen muss, denn sowohl der Hauptschuldner S als auch der Gläubiger G sind sehr am Abschluss des Bürgschaftsvertrages interessiert. Andererseits könnte man aus der Interessenlage aber auch genau das Gegenteil folgern, da "die Bürgschaft regelmäßig im eigenen Interesse des Schuldners liegt und deshalb dessen Tun auch nicht ohne weiteres dem Gläubiger zugerechnet werden kann". Beide Erwägungen hat der BGH im gleichen Urteil angestellt! Das zeigt aber gerade, wie vage und unbrauchbar Formulierungen wie Vertrauensperson oder "im Lager des Erklärungsempfängers stehen" sind. Daher ist es sinnvoll, allein mit Hilfe des Rechtsgedankens des § 278 BGB zu ermitteln, ob der Schuldner "Dritter" ist. Die Täuschung des S kann also nur ausnahmsweise dem G zugerechnet werden, wenn S mit Wissen und Wollen des G als dessen Verhandlungsgehilfe aufgetreten ist. Das wird wegen des überwiegenden Eigeninteresses des Schuldners in aller Regel nicht anzunehmen sein und ist hier auch nicht ersichtlich. S ist also "Dritter" im Sinne des § 123 II 1 BGB, so dass seine Täuschung dem G nicht zugerechnet werden kann. B kann somit seine Willenserklärung nicht gegenüber G anfechten.

Die Anzahl der am Geschehen beteiligten Personen kann auch noch auf vier Personen erhöht werden. Diesen Fall regelt § 123 II 2 BGB: "Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste". Es geht hier also nicht darum, ob der Erklärungsempfänger sich das Verhalten eines Dritten zurechnen lassen muss, sondern darum, ob ein Dritter die aus dem Rechtsgeschäft des Erklärungsempfängers erworbenen Rechte (wegen der Täuschung durch einen Vierten) behält oder nicht. Hauptanwendungsfall hierfür ist der echte Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB). Hierbei handelt es sich um einen Vertrag (z.B. einen Kauf-, Werk- oder Mietvertrag) aus dem ein Dritter eigene Ansprüche erwirbt, ohne am Vertragsschluss selbst beteiligt zu sein. Ein typisches Beispiel hierfür ist etwa die Lebensversicherung, die zu Gunsten einer dritten Person abgeschlossen wird.

Beispiel: A hat auf Grund eines Hirntumors nur noch eine geringe Lebenserwartung. Seine Angehörigen haben dies von den behandelnden Ärzten erfahren, es A aber nicht mitgeteilt, um ihm noch ein paar schöne Wochen zu gönnen. Kurz nachdem der aus dem Krankenhaus entlassen wird, schließt er auf Betreiben seiner Ehefrau F eine Lebensversicherung zu ihren Gunsten ab und versichert gutgläubig gesund zu sein. Dabei legt er ein Attest vor, das sein Sohn S, der selbst Arzt ist, ausgestellt hat und das von der Versicherung anstandslos akzeptiert wird. Der F ist der gesamte Sachverhalt bekannt.

Verstirbt nun der A, so erwirbt die F aus dem Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme. Erhält die Versicherung von dem Vorgang Kenntnis, dann kann sie gegenüber der F den Vertrag gemäß §§ 123 I, II 2 BGB anfechten, da die F bösgläubig war.

Allerdings setzt auch § 123 II 2 BGB nicht notwendig das Handeln von vier Personen voraus. Zwar könnte man dies mit Rücksicht auf den Wortlaut annehmen, in dem nur von der Kenntnis des Dritten und von der Täuschung eines Vierten die Rede ist, doch ist es allgemeine Meinung, dass § 123 II 2 BGB erst recht den Fall erfasst, dass der begünstigte Dritte selbst die Täuschung begeht. Auch braucht man auf § 123 II 2 BGB dann nicht zurückzugreifen, wenn der Erklärungsempfänger selbst die Täuschung begangen oder gekannt hat oder wenn er sich die Täuschung einer Hilfsperson zurechnen lassen muss. In diesem Fall kann der Erklärungsempfänger schon nach § 123 I, II 1 BGB anfechten. Dies wäre im obigen Beispiel schon der Fall, wenn A selbst von seiner Krankheit Kenntnis gehabt hätte.

Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 I 2. Alt. BGB)

Die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit kann auch durch widerrechtliche Drohung beeinflusst werden. Diese Beeinträchtigung schätzt der Gesetzgeber als generell noch schwerer als die Beeinträchtigung durch Täuschung ein, wie man daraus entnehmen kann, dass eine durch widerrechtliche Drohung beeinflusste Willenserklärung immer anfechtbar ist unabhängig davon, wer gedroht hat. Eine Einschränkung der Anfechtbarkeit in Fällen der Drohung durch "Dritte" oder der Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers, wie sie der Gesetzgeber für die Täuschung in § 123 Abs. 2 BGB vorgesehen hat, ist für die durch widerrechtliche Drohung zustande gekommene Willenserklärung nicht geregelt.

Grundvoraussetzung für die Anwendung des § 123 I 2. Alt. BGB ist, dass die Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung geführt hat. Dies ist nicht der Fall, wenn die Erklärung unter Anwendung unwiderstehlichen körperlichen Zwangs (vis absoluta) zustande gekommen ist; denn hier fehlt es dem "Erklärenden" am Handlungswillen, so dass ihm die Erklärung nicht als eigene zugerechnet werden kann. So liegt wie bereits im Laufe der Vorlesung erörtert keine Willenserklärung des A vor, wenn B dem A durch gewaltsames Führen der Hand zum Unterzeichnen eines Wechsels zwingt.

Unter Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Dies ist schon dann nicht gegeben, wenn der "Täter" sich selbst gar keinen Einfluss auf das Eintreten des Übels zuschreibt, sondern lediglich auf eine außerhalb seines Einflussbereiches stehende Zwangslage hinweist. Dabei muss die Drohung kausal für die Abgabe der Willenserklärung gewesen sein. Hierbei kommt es ebenso wie bei der Täuschungsanfechtung alleine auf die subjektive Erheblichkeit der Drohung für die Abgabe der Willenserklärung an.

Schließlich muss die Drohung noch "widerrechtlich" gewesen sein. Um zu ermitteln, ob die Drohung widerrechtlich ist, unterscheidet man zwischen dem Mittel der Drohung, dem mit ihr verfolgten Zweck und der Zweck-Mittel-Relation und untersucht jeweils, ob aus ihnen die Rechtswidrigkeit der Drohung folgt.

Einfach gelagert sind dabei die Fälle, bei denen die Rechtswidrigkeit der Drohung aus der Rechts- oder Sittenwidrigkeit des Mittels der Drohung und/oder des mit der Drohung verfolgten Zwecks folgt. Verfolgt etwa der "Täter" mit seiner Drohung ein von der Rechtsordnung an und für sich gebilligtes Ziel (z.B. die Beitreibung seiner Schulden), setzt dazu aber Mittel ein, die rechts- oder sittenwidrig sind (z.B. Androhung einer nach § 223 StGB strafbaren Körperverletzung), dann gilt selbstverständlich nicht von Rechts wegen der Satz: "Der Zweck heiligt die Mittel". Vielmehr wird eine solche Drohung von der Rechtsordnung missbilligt. Ebenso ist die Drohung rechtswidrig, wenn der "Täter" mit einem an und für sich erlaubten Mittel droht, um damit einen rechts- oder sittenwidrigen Erfolg, d.h. die Abgabe einer rechts- oder sittenwidrigen Willenserklärung zu erreichen (die jedoch regelmäßig bereits nach §§ 134, 138 BGB unwirksam sein wird).

Liegt bei der Drohung mit einem unerlaubten Mittel zu einem unerlaubten Zweck die Rechtswidrigkeit der Drohung auf der Hand, so kann die Bewertung von Drohungen, bei denen sowohl das angedrohte Übel als auch der mit der Drohung verfolgte Zweck rechtmäßig sind, durchaus "knifflig" sein. Die Schwierigkeit dieser Fälle liegt darin begründet, dass der Rechtsanwender letztlich die Freiheitssphären der Parteien gegeneinander abgrenzen muss. Wie weit darf man bei der Durchsetzung berechtigter Interessen mit rechtmäßigen Mitteln gehen, wie viel psychischer Druck ist zumutbar? Da hier vieles von der persönlichen Wertung im Einzelfall abhängig ist, sind in diesem Bereich viele Einzelfragen heftig umstritten. Dennoch hat sich dabei grundsätzlich die Meinung durchgesetzt, dass es nicht als rechtswidrig bewertet werden kann, wenn man Rechte, die einem die Rechtsordnung zubilligt, durchsetzt und dazu Verfahren in Anspruch nimmt, die von der Rechtspflege zur Durchsetzung dieser Rechte zur Verfügung gestellt werden. Wer also einem anderen etwas schuldet, der muss es hinnehmen, wenn dieser ihm bei Nichterfüllung mit Klageerhebung oder bei Vorliegen eines Vollstreckungstitels mit der Einleitung der Zwangsvollstreckung droht. Selbst wenn er nichts schuldet, der andere aber vom Bestehen eines Anspruchs ausgeht und ihm mit Klage droht, ist diese Drohung nicht rechtswidrig, da sie nicht mutwillig erfolgt, sondern nur die Durchführung eines Verfahrens in Aussicht stellt, das die Rechtsordnung gerade dafür eingerichtet hat, um zu klären, ob ein behauptetes Rechts besteht oder nicht. Zahlt der mit der Klage Bedrohte dann, um sich nicht dem Verfahren aussetzen zu müssen, dann kann er das Erfüllungsgeschäft später nicht nach § 123 I 2. Alt. BGB anfechten, sondern allenfalls nach § 812 I 1 1. Alt. oder nach § 813 BGB das zur Erfüllung Geleistete zurückverlangen.

Darüber hinaus ist man sich darüber einig, dass bei der Drohung mit einem erlaubten Übel zur Verfolgung eines erlaubten Zwecks wegen der grundsätzlichen Erlaubtheit des Vorgehens die Rechtswidrigkeit der Drohung die Ausnahme bleiben muss. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das Mittel der Drohung im Verhältnis zum verfolgten Zweck "unangemessen" ist. Dies ist im jeweiligen Einzelfall durch eine umfassende Würdigung aller Umstände zu ermitteln und nach den Kriterien von Treu und Glauben und der zur Zeit der Drohung herrschenden Anschauungen zu beurteilen. Dabei ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob das angedrohte, erlaubte Übel mit dem verfolgten Zweck in einem sachlichen, inneren Zusammenhang steht ("Koppelungsverbot"). Dies wird in Lehrbüchern immer wieder gerne an dem Beispiel der "Drohung mit einer Strafanzeige" verdeutlicht. Hat z.B. ein Arbeitnehmer per Zufall von Unterschlagungen seines Kollegen im Betrieb Kenntnis erlangt, dann ist die Drohung mit einer Strafanzeige mangels inneren Zusammenhangs rechtswidrig, wenn sie dazu eingesetzt wird, den Kollegen zur Rückzahlung eines ihm gewährten Darlehens zu bewegen. Droht dagegen in diesem Beispiel der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer an, die Straftat anzuzeigen, wenn der Arbeitnehmer den Schaden nicht wiedergutmache, dann ist die Drohung wegen des sachlichen Zusammenhangs zwischen der Straftat und des durch sie verursachten Schadens nicht rechtswidrig.

Zuletzt geändert: Dienstag, 18. Januar 2011, 18:19